Die Warnungen vor einer unmittelbaren Anschlagsgefahr in Afghanistan haben sich bestätigt: Zwei starke Explosionen erschütterten am Donnerstag den Flughafen von Kabul. Bei den Anschlägen seien bis zu 20 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden, sagte ein Taliban-Sprecher. Laut Pentagon wurden durch zwei Selbstmordattentäter auch zwölf US-Soldaten getötet und 15 verletzt. Zu einem der Anschläge bekannte sich die Dschihadistenmiliz IS. Fast zeitgleich mit den Anschlägen beendete die Bundeswehr ihre Evakuierungsflüge und brachte alle deutschen Einsatzkräfte aus dem Land.
Zum Zeitpunkt der Explosionen warteten vor dem Flughafen Kabul tausende Menschen auf einen Platz in einem der letzten westlichen Evakuierungsflugzeuge. Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid sagte AFP, es seien "zwischen 13 und 20 Menschen" getötet und 52 verletzt worden. Krankenhäuser in Kabul meldeten sechs Tote und mehr als 50 Verletzte.
Der IS nahm den verheerenden Anschlag nahe des Flughafens von Kabul für sich in Anspruch. Wie das auf die Überwachung extremistischer Gruppen im Internet spezialisierte US-Unternehmen Site mitteilte, erklärte der IS über sein Propaganda-Sprachrohr Amaq, einer seiner Kämpfer habe sich am Flughafen in die Luft gesprengt. Der Kämpfer des regionalen IS-Ablegers Provinz Chorasan (ISKP) habe alle Sicherheitsabsperrungen überwunden und sich US-Soldaten auf "nicht mehr als fünf Meter" nähern können. Er habe dann seine Sprengstoffweste detonieren lassen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, Einzelheiten seien noch nicht bekannt, aber "Terroristen haben auf Menschen gezielt, die vor den Flughafentoren gewartet haben". Deutsche seien nach bisherigen Informationen nicht unter den Opfern, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).
Soldaten der Bundeswehr oder Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und der Bundespolizei kamen nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht zu Schaden. Sie seien alle ausgeflogen worden.
Der Abflug der Maschinen fand unmittelbar nach den zwei Anschlägen vor dem Flughafen statt. Am Abend teilte die Bundeswehr auf Twitter mit, die letzte von vier A400M-Militärmaschinen sei in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gelandet. Am Freitagnachmittag sollen die Einsatzkräfte der Bundeswehr wieder nach Deutschland zurückkehren.
Ein Anschlag wurde vor dem Flughafenzugang Abbey Gate verübt, mindestens ein weiterer am Baron Hotel in der Nähe, wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte. Im Baron Hotel hatten die USA und andere westliche Staaten Menschen untergebracht, die außer Landes gebracht werden sollten. Wegen der chaotischen und gefährlichen Lage am Flughafen waren einige von ihnen von dort mit Hubschraubern abgeholt worden.
In der Nacht zum Freitag war in Kabul eine weitere gewaltige Explosion zu hören. Taliban-Sprecher Mudschahid erklärte, es habe sich um eine kontrollierte Explosion gehandelt, bei der US-Truppen die Ausrüstung des Flughafens zerstört hätten. Von unabhängiger Seite lag zunächst keine Bestätigung dafür vor.
Die USA und andere westliche Staaten hatten zuletzt vor Anschlägen am Kabuler Flughafen gewarnt, das Bundesverteidigungsministerium hatte von mehreren Selbstmordattentätern in der Stadt gesprochen. Vom Flughafen aus läuft seit Tagen eine großangelegte Evakuierungsaktion, um Ausländer und gefährdete Afghanen nach der Machtübernahme der Taliban per Flugzeug in Sicherheit zu bringen.
Die Taliban verurteilten die Anschläge. "Das Islamische Emirat verurteilt den Bombenanschlag gegen Zivilisten am Kabuler Flughafen scharf", erklärte ein Taliban-Sprecher auf Twitter. Der Sprecher fügte hinzu, die Explosionen hätten sich in einem Gebiet ereignet, in dem US-Soldaten "für die Sicherheit verantwortlich sind".
US-Präsident Joe Biden kündigte Vergeltung an. "Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen", sagte Biden im Weißen Haus an die Adresse der Verantwortlichen für die Attacken gerichtet. Der Chef des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, General Kenneth McKenzie, machte die IS-Miliz für die Anschläge verantwortlich.
Zwei Selbstmordattentäter hätten Sprengsätze in der Nähe des Abbey Gate am Kabuler Flughafen und des nahe gelegenen Baron Hotels gezündet, sagte der General. Anschließend hätten mehrere IS-Kämpfer das Feuer auf Zivilisten und Militärs eröffnet. "Wir erwarten, dass diese Angriffe weitergehen werden", sagte McKenzie weiter. Die Vereinten Nationen kündigten ein Krisentreffen des UN-Sicherheitsrates zu Afghanistan für Montag an.
Der britische Premierminister Boris Johnson erklärte, Großbritannien werde weiterhin britische Staatsbürger und Afghanen aus dem Krisenland ausfliegen. "Wir werden bis zum letzten Moment weitermachen", kündigte Johnson an.
Wie Deutschland beendeten auch die Niederlande am Donnerstag ihre Rettungsflüge. Frankreich fliegt spätestens am Freitagmorgen zum letzten Mal zu Evakuierende aus. Durch die Bundeswehr wurden laut Auswärtigem Amt vom Donnerstagabend mehr als 5300 Menschen ausgeflogen.
by Von David FOX