Demonstrative Einigkeit trotz Meinungsverschiedenheiten: Bei einem Treffen im Vorfeld des G7-Gipfels im südenglischen Carbis Bay haben Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und US-Präsident Joe Biden ihre gemeinsamen weltpolitischen Positionen hervorgehoben. Die beiden Politiker verabschiedeten am Donnerstag eine moderne Version der Atlantik-Charta von 1941, die einen engen Schulterschluss zwischen London und Washington in den Bereichen Pandemie-Politik, globale Sicherheit und Klimaschutz vorsieht. Auch in der strittigen Nordirland-Frage gebe es einen "gemeinsamen Nenner", betonte Johnson.
Der britische Premier sprach von einem "erfrischenden" Gespräch mit dem US-Präsidenten. Nach Angaben von Downing Street einigten sich der Premier und sein Gast in dem 90-minütigen Gespräch darauf, den wechselseitigen Handel zu intensivieren, um auf ein "künftiges US-britisches Freihandelsabkommen" hinzuwirken. Zudem werde eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Wiederaufnahme des Reiseverkehrs zwischen beiden Ländern nach der Corona-Pandemie vorbereiten soll.
Biden nannte das Treffen mit Johnson "sehr produktiv". Gemeinsam hätten sie die "besonderen Beziehungen" zwischen den USA und Großbritannien bekräftigt.
Ein heikles Gesprächsthema waren die derzeitigen Spannungen in Nordirland vor dem Hintergrund des Brexit-Abkommens zwischen London und Brüssel. Großbritannien, die EU und die USA seien sich einig darin, den Frieden in der britischen Provinz erhalten zu wollen, betonte Johnson. Er sei "optimistisch, dass wir das schaffen".
Zuletzt hatten die USA den Druck auf den britischen Regierungschef erhöht, im Post-Brexit-Streit mit der EU Kompromissbereitschaft zu zeigen. Laut einem Bericht der "Times" wies Biden die US-Diplomaten an, der britischen Regierung die Sorgen Washingtons über die Lage in Nordirland zu übermitteln. Dem Bericht zufolge übte die Gesandte der US-Botschaft in London, Yael Lempert, in einem Gespräch mit dem britischen Brexit-Minister David Frost deutliche Kritik an der Weigerung Londons, Waren an der Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien zu kontrollieren.
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Donald Trump ist Biden, der irische Vorfahren hat, kein Freund von Johnsons Brexit-Politik. Biden hatte Londons Versuch, von seinen Verpflichtungen zu Nordirland im Rahmen des Brexit-Abkommens mit der EU abzurücken, wiederholt kritisiert und gewarnt, dass dies den Erfolg eines Handelsabkommens zwischen den USA und Großbritannien gefährden könne.
Das sogenannte Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags soll sicherstellen, dass zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen stattfinden, da diese nach Einschätzung beider Seiten zu einem Wiederaufflammen des blutigen Nordirland-Konflikts führen könnten. Die Kontrollen sollen stattdessen zwischen Großbritannien und Nordirland stattfinden. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat angekündigt, das Thema am Rande des G7-Gipfels ansprechen zu wollen.
Das Treffen mit Johnson bildete den Auftakt zu Bidens erster Auslandsreise, auf der er von seiner Frau Jill begleitet wird. Am Freitag kommt er mit seinen übrigen G7-Kollegen zum Gipfel in Cornwall zusammen.
Vor Journalisten gab Biden am Donnerstagabend eine Spende von 500 Millionen Corona-Impfstoffdosen an 92 ärmere Länder bekannt. Die US-Spendenaktion sei ein "historischer Schritt" im Kampf gegen die Pandemie, sagte der US-Präsident. Hilfsorganisationen begrüßten die Spende und forderten auch die übrigen G7-Staaten zur Abgabe von Corona-Vakzinen an ärmere Staaten auf. Die Pandemie-Politik steht im Zentrum des Treffens der Staats- und Regierungschefs sieben führender Industrienationen am Freitag.
by Von Jerome CARTILLIER