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BGH verhandelt über Zitieren aus Tagebuch von früherem Warburg-Bankchef Olearius

Ein Zeitungsartikel und seine Folgen haben am Dienstag den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe beschäftigt. Es ging um den Cum-Ex-Skandal und einen seiner mutmaßlichen Protagonisten, den früheren Chef der Warburg-Bank, Christian Olearius. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte in einem Artikel über den Skandal auf ihrer Internetseite im September 2020 aus Tagebüchern von Olearius zitiert. (Az. VI ZR 116/22)

Die Tagebücher waren zuvor im Ermittlungsverfahren gegen den Banker wegen Steuerhinterziehung von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Olearius ging gerichtlich gegen die Veröffentlichung der Passagen vor und hatte damit größtenteils Erfolg.

Das Oberlandesgericht Hamburg verbot der Zeitung das wörtliche Zitieren der meisten Stellen. Es begründete seine Entscheidung damit, dass es sich um amtliche Dokumente eines Strafverfahrens handle. Das Gesetz solle von solchen Verfahren Betroffene vor vorzeitiger Bloßstellung schützen.

Dieses Urteil prüfte der Bundesgerichtshof nun. In der Verhandlung ging es vor allem um die Frage, ob hier zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit abgewogen werden muss - oder ob eine solche Veröffentlichung in jedem Fall verboten ist.

Der Anwalt der Zeitung argumentierte, dass es in den zitierten Tagebuchauszügen und im Artikel gar nicht um die Vorwürfe gegen Olearius selbst ging, sondern um eine mögliche Einflussnahme der Politik. Zudem habe sich Olearius selbst an Medien gewandt und diesen eine Tagebuchseite zur Verfügung gestellt. In einem solchen Fall müsse es der Presse möglich sein zu sagen: "Blättere mal etwas weiter im Tagebuch, da stehen noch ganz andere Dinge drin."

Er bezweifelte zudem, dass es sich tatsächlich um amtliche Dokumente handelte. Schließlich würden vor allem bei Ermittlungen zu Wirtschaftsstraftaten regelmäßig große Mengen von Schriftstücken beschlagnahmt, sagte er. Als amtliche Dokumente könnten höchstens solche gelten, die ähnlich wichtig seien wie die Anklageschrift.

Olearius' Anwältin sah das Ganze anders. Sie verwies auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus den 80er Jahren, derzufolge das Verbot wörtlicher Zitierung in solchen Fällen die Pressefreiheit nur geringfügig beeinträchtige.

Eine Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und Pressefreiheit würde hier dazu führen, dass die "Durchstecherei, die allenthalben üblich ist", noch verstärkt würde, sagte sie. Es könnte der Eindruck entstehen, dass Justiz und Journalismus "unstatthaft zusammenarbeiten".

Durch die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge in verschiedenen Medien war bekannt geworden, dass Olearius sich mehrmals mit dem heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) getroffen hatte, der damals Hamburger Bürgermeister war. Die Hamburger Steuerverwaltung verzichtete im Jahr 2016 auf die Rückzahlung von 47 Millionen Euro durch die Warburg-Bank.

In Hamburg arbeitet seit November 2020 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss und geht der Frage nach, ob Scholz Einfluss auf die Entscheidung der Finanzbehörden nahm. Scholz gibt an, sich an den Inhalt der Treffen nicht erinnern zu können.

Olearius selbst wird sich demnächst vor dem Landgericht Bonn wegen des Vorwurfs der besonders schweren Steuerhinterziehung in 14 Fällen verantworten müssen. Beim Cum-Ex-Skandal handelte es sich um das womöglich umfassendste System der Steuerhinterziehung in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Der Staat wurde um Milliarden geprellt. Investoren schoben Aktienpakete rund um den Dividendenstichtag hin und her mit dem Ziel, sich vom Finanzamt Kapitalertragssteuern zurückerstatten zu lassen, die nie gezahlt worden waren. Im Sommer 2021 erklärte der Bundesgerichtshof Cum-Ex-Geschäfte für illegal.

Eine Entscheidung zu den Tagebuchauszügen verkündete der Bundesgerichtshof am Dienstag noch nicht. Sie soll in einigen Wochen fallen.

smb/cfm