Vor dem Westbalkan-Gipfel der Europäischen Union haben Deutschland und Österreich die Partner zu Bewegung in dem festgefahrenen Erweiterungsprozess gedrängt. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte, der am Dienstagabend beginnende EU-Gipfel im slowenischen Brdo pri Kranju müsse "die eindeutige Botschaft aussenden, dass der Beitritt für die Westbalkanstaaten ein erreichbares Ziel ist". Auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg forderte mehr Tempo.
Maas äußerte sich nach einem Treffen mit dem nordmazedonischen Außenminister Bujar Osmani am Montag in Berlin. Er betonte, unter den deutschen Parteien gebe es einen "starken Konsens über unsere weitere Unterstützung für die EU-Beitrittsperspektive des Westbalkans".
Der österreichische Außenminister Schallenberg warnte in der "Welt" (Dienstagausgabe) davor, dass Mächte wie China, Russland oder die Türkei ihren Einfluss auf dem Balkan vergrößern würden, wenn die Europäer zu lange zögerten.
Zu dem EU-Gipfel in Slowenien wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet. Zum Auftakt gibt es am Dienstagabend ein informelles Arbeitsessen auf dem Renaissanceschloss in Brdo pri Kranju, dem früheren Landsitz des langjährigen jugoslawischen Machthabers Tito.
Zunächst steht eine "Strategiedebatte über die Rolle der Union auf der internationalen Bühne" auf der Tagesordnung, wie es im Einladungsschreiben von EU-Ratspräsident Charles Michel heißt. Die EU müsse "offensiver" werden, betonte Michel mit Blick auf Afghanistan, die USA und China.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will nach Pariser Angaben eine größere militärische Unabhängigkeit der Europäer von Washington fordern. Hintergrund ist neben dem chaotischen Afghanistan-Abzug auch Macrons Verärgerung über ein geplatztes U-Boot-Geschäft mit Australien, für das er die USA verantwortlich macht.
US-Präsident Joe Biden bekräftigte nach Brüsseler Angaben bei einem Telefonat mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die EU sei ein "wichtiger Partner" für Washington und er wolle den "Dialog stärken". Kommende Woche will der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach Washington reisen.
Der eigentliche Westbalkan-Gipfel findet am Mittwoch statt. Dafür treffen die EU-Spitzen mit den Staats- und Regierungschefs von Albanien, Nordmazedonien, Serbien, des Kosovo, Montenegro und Bosnien und Herzegowina zusammen.
Von den sechs Ländern sind Albanien und Nordmazedonien einem EU-Beitritt am nächsten. Die EU-Kommission hatte ihnen bereits 2018 bescheinigt, die nötigen Reformen umgesetzt zu haben. Zunächst bremsten jedoch Frankreich und andere Länder. Nun blockiert Bulgarien den Start der Verhandlungen, weil es Nordmazedonien zur Anerkennung bulgarischer Wurzeln in seiner Sprache, Bevölkerung und Geschichte drängt. Albanien sieht sich als "Geisel" dieses Streits.
Der nordmazedonische Außenminister Osmani sagte bei dem Empfang durch Maas in Berlin laut Auswärtigem Amt, die Unterstützung von Partnern wie Deutschland sei notwendig, um der weit verbreiteten "EU-Skepsis entgegenzuwirken".
Diese Skepsis ist weiterhin vorhanden, wie das Ringen um die Abschlusserklärung des EU-Gipfels zeigt. Die Mitgliedsländer wollen darin nun ihr "Engagement für den Erweiterungsprozess" bekunden, wie aus einem Entwurf hervorgeht, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt. Ein Vorstoß Sloweniens, das Datum 2030 als Ziel für die Aufnahme der Westbalkan-Länder in den Schlussfolgerungen festzuhalten, scheiterte Diplomaten zufolge aber am Widerstand anderer Länder.
In Brüssel wird nicht mit Bewegung in dem Erweiterungsstreit vor den französischen Präsidentschaftswahlen im April gerechnet. Die bisher aussichtsreichste Konkurrentin von Staatschef Macron ist die erweiterungsfeindliche Rechtspopulistin Marine Le Pen.
by Von Isabelle DANIEL und Stephanie LOB