In Großbritannien haben sich infolge der Benzin-Engpässe am Montag erneut lange Schlangen vor den Tankstellen gebildet. Die britische Tankstellenvereinigung PRA führte die Treibstoffknappheit vor allem in den Städten auf Panikkäufe zurück. Die Gewerkschaft Unison forderte, Arbeitnehmer in Schlüsselbranchen vorrangig mit Benzin zu versorgen.
In Großbritannien fehlen Schätzungen zufolge rund 100.000 Lkw-Fahrer. Wegen der Situation ist es zu Engpässen an Tankstellen und bei Lebensmitteln gekommen. Tankstellenbetreiber wie Shell, BP und Esso erklärten, es gebe "reichlich Treibstoff in den britischen Raffinerien". Es fehlten aber die Fahrer zum Ausliefern. Die Konzerne rechnen demnach mit einer Normalisierung der Lage in den kommenden Tagen. Sie riefen ihre Kunden auf, "wie gewohnt" Kraftstoff zu kaufen - also keine Hamsterkäufe vorzunehmen.
Doch vor den Tankstellen bildeten sich am Montagmorgen erneut lange Schlangen. Teilweise warteten Autofahrer bereits in der Nacht, um Treibstoff zu ergattern. "Die Menschen sind verzweifelt. Wenn ich jetzt kein Benzin bekomme, kann ich heute nicht mehr arbeiten", sagte David Hart, einer der Wartenden.
"Ich musste fünf verschiedene Tankstellen anfahren", berichtete die Autofahrerin Lisa Wood, die bereits über eine Stunde lang an einer Tankstelle in London wartete. "Mein Tank ist fast leer."
Der PRA-Vorsitzende Brian Madderson machte im Sender BBC "reine Panikkäufe" für die Engpässe verantwortlich: "Eines unserer Mitglieder erhielt mittags einen Tank voll Benzin, und am späten Nachmittag war der Inhalt bereits in den Autos der Leute verschwunden." Aufgrund der starken Nachfrage hatten demnach rund die Hälfte der insgesamt 8000 Tankstellen am Sonntag keinen Treibstoff mehr.
Großbritanniens größte Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, Unison, forderte, Arbeitnehmer in Schlüsselbranchen wie Ärzte, Lehrer und Polizisten vorrangig mit Benzin zu versorgen. "Die Regierung könnte dieses Problem jetzt lösen, indem sie per Notfallbefugnis Tankstellen für die ausschließliche Nutzung durch Beschäftigte in Schlüsselpositionen ausweist", sagte Generalsekretärin Christina McAnea.
Kritiker werfen der Regierung Untätigkeit angesichts des historischen Mangels an Lkw-Fahrern vor, der durch den Brexit und die Corona-Pandemie entstanden ist. Um die Krise beizulegen, hatte die Regierung am Wochenende eine Lockerung der Visa-Bestimmungen für ausländische Lkw-Fahrer und Fachkräfte aus anderen Branchen beschlossen.
Die angekündigte Visa-Lockerung bedeutet eine klare Abkehr von der restriktiven Einwanderungspolitik von Premierminister Boris Johnson, die er seit dem Austritt aus der EU verfolgt. Johnson hatte wiederholt erklärt, er wolle Großbritanniens Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften beenden.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz machte den Brexit für die Probleme an britischen Tankstellen verantwortlich. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei ein Prinzip der EU, erklärte er am Montag in Berlin. "Wir haben hart daran gearbeitet, die Briten zu überzeugen, die Union nicht zu verlassen", betonte Scholz.
Den Lastwagen-Fahrermangel in Großbritannien führte Scholz auch auf mutmaßlich zu niedrige Löhne zurück. "Wenn Sie nicht genug Menschen finden, die den Job machen wollen, hat das möglicherweise mit den Arbeitsbedingungen zu tun."
Ein Sprecher von Johnson sagte, die Regierung schließe den Einsatz des Militärs bei der Auslieferung von Treibstoff bei einer Verschlechterung der Lage nicht aus. Umweltminister George Eustice erklärte jedoch, die Regierung habe "zum jetzigen Zeitpunkt" nicht vor, Soldaten zu entsenden. Das Militär werde aber bei der Ausbildung neuer Fahrer Unterstützung leisten.
Der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng sagte zudem am Montag, er habe Wettbewerbsbestimmungen der Branche ausgesetzt, damit die Branche "wichtige Informationen austauschen und besser zusammenarbeiten und so Lieferengpässe minimieren kann".
by Von Ben PERRY