Die Isländer haben am Samstag ein neues Parlament gewählt. Regierungschefin Katrin Jakobsdottir von den Linksgrünen hofft dabei auf eine zweite Amtszeit. Allerdings könnte die regierende Links-Rechts-Koalition ihre Mehrheit im isländischen Parlament Althing Umfragen zufolge verlieren. Die Parteienlandschaft des Inselstaats im Nordatlantik ist stark zersplittert. Laut Umfragen könnten neun der zehn kandidierenden Parteien ins Parlament einziehen - ein Rekord. Dies dürfte die Koalitionsverhandlungen erschweren.
Der 47-jährige Unternehmer Jon Sigurdsson war einer der Ersten, der in der Hauptstadt Reykjavik seine Stimme abgab. "Viele Parteien drohen mit Steuererhöhungen, und ich denke, das ist nicht richtig. Es reicht!", sagte er.
Die derzeitige Koalition aus Linksgrünen, konservativer Unabhängigkeitspartei und der Fortschrittspartei, die Mitte-Rechts-Positionen vertritt, hält 33 der 63 Sitze im Parlament. Jakobsdottirs Partei kommt in den Umfragen derzeit aber nur noch auf zehn bis zwölf Prozent.
Dabei ist die Ministerpräsidentin selbst sehr beliebt. Während ihrer vierjährigen Amtszeit führte sie ein fortschrittliches Einkommensteuersystem ein, erhöhte das Budget für den sozialen Wohnungsbau und verlängerte die Elternzeit. Auch ihr Umgang mit der Corona-Krise wurde gelobt: In dem Inselstaat mit seinen 370.000 Einwohnern starben nur 33 Menschen an den Folgen einer Infektion.
Jakobsdottirs Regierung ist erst die zweite seit 2008, die bis zum Ende der vierjährigen Amtszeit durchhielt. Zwischen 2007 und 2017 wurden infolge mehrerer Skandale insgesamt fünf Wahlen abgehalten.
Stärkste Kraft könnte die Unabhängigkeitspartei werden, die in den Umfragen derzeit auf 20 bis 24 Prozent der Stimmen kommt. Parteichef Bjarni Benediktsson, Finanzminister der aktuellen Regierung und ehemaliger Ministerpräsident, hofft, Jakobsdottir im Amt abzulösen.
Benediktsson war in mehrere politische Skandale verwickelt, unter anderem in die dubiosen Steuerpraktiken, die durch die "Panama Papers" offengelegt wurden. "Wenn es unser Schicksal ist, der neuen Regierung als notwendige Opposition gegenüber zu treten, werden wir das natürlich tun", sagte Benediktsson nach seiner Stimmabgabe. "Aber wir sind bei weitem die größte Partei und ich bin optimistisch."
Koalitionsprognosen sind angesichts der Zersplitterung der Parteienlandschaft kaum möglich. Fünf Parteien liegen in den Umfragen derzeit bei jeweils zehn bis 15 Prozent: die Linksgrünen, die Fortschrittspartei, die sozialdemokratische Allianz, die Piratenpartei und die Reformpartei.
"Es gibt keine klare Alternative zu dieser Regierung. Wenn sie scheitert und nicht weitermachen kann, dann steht es quasi jedem offen, eine neue Koalition zu bilden", sagte der Politikwissenschaftler Eirikur Bergmann.
Erste Ergebnisse wurden am Abend gegen 22.00 Uhr (Ortszeit; 0.00 MESZ) erwartet. Ein klares Bild dürfte sich jedoch erst am Sonntag abzeichnen.
by Jonathan NACKSTRAND