Für die meisten Menschen ist ein Leben ohne Smartphone und Internet nur noch schwer vorstellbar. Corona-bedingt hat der Onlinekonsum in den letzten Monaten noch einmal zugenommen. Vollständig abschalten und offline leben? Für die meisten eher eine Herausforderung, die mit Stress einhergeht. Deshalb hat es sich Christoph Koch, Digitalisierungsexperte und Autor von "Digitale Balance: Mit smarter Handynutzung leichter leben" (Heyne), zur Aufgabe gemacht, herauszufinden, wie wir mit der Nutzung von Social Media und Co. bedachter und sparsamer umgehen können, ohne auf sie verzichten zu müssen. Wie das funktioniert, verrät er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Christoph Koch: Natürlich sind Digitalisierung und das Internet erst einmal positiv, das erleben wir ja auch aktuell in der Corona-Pandemie. Mit Videotelefonaten können wir Kontakt halten und dank Online-Shopping Dinge kaufen, die wir dringend benötigen, ohne einen riskanten Kontakt zu anderen. Aber gerade im Bereich Social Media dürfen wir nicht vergessen, dass diese Webseiten und Apps absichtlich und mit sehr viel Aufwand und Sorgfalt so gestaltet sind, dass wir möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen.
Viele Menschen denken, es liegt an ihnen, dass sie nicht von Instagram und Facebook, von WhatsApp oder ihrem Lieblingsspiel loskommen. Aber es liegt an den Mechaniken dieser Apps, die genau wissen, wie sie die Dopaminausschüttung in unserem Gehirn triggern können. Und es liegt an ihrem Geschäftsmodell, das fast immer auf Werbung basiert. Das bedeutet: Je öfter wir zum Smartphone greifen und je länger wir auf der jeweiligen Plattform verbringen, umso mehr Geld wird an uns verdient.
Koch: Die Auswirkungen sind sehr unterschiedlich. Zum einen zeigen wir in den sozialen Netzwerken oft nur die beste Seite unseres Lebens. Wir fotografieren die glücklichsten, bestaussehenden Momente. Das ist verständlich, aber führt dazu, dass unser reales Leben nie mit dem mithalten kann, was wir von anderen im Netz zu sehen bekommen. Wenn wir aber gar nicht reinschauen, fällt uns das auch nicht leicht. Wir haben das Gefühl, etwas zu verpassen - oft abgekürzt als FOMO (Fear of missing out). Fühlt sich auch nicht gut an.
Deshalb rede ich auch eher von einer "Digitalen Balance" als von "Digital Detox", wie es sich in den letzten Jahren eingebürgert hat. Ich vergleiche es oft mit dem Essen: Da ist es ja auch nicht sinnvoll, sich vollzustopfen, dann ein paar Tage Nulldiät zu machen und dann wieder von vorn. Für ein gesundes Leben braucht es stattdessen eine ausgewogene und maßvolle Ernährung. Das gilt im digitalen Bereich genauso.
Koch: Unser Nutzungsverhalten ist sehr individuell. Das merkt man schon daran, dass zwar von außen alle Smartphones nahezu gleich aussehen, jeder aber andere Apps installiert hat, andere Vorlieben - und eben auch andere Probleme damit und Dinge, die sie oder ihn stressen. Deshalb ist es auch schwierig, Patentrezepte zu verkünden, mit denen allen gleichermaßen geholfen ist. Für die einen kann es hilfreich sein, ihr Smartphone in den weit weniger attraktiven und verlockenden Schwarz-weiß-Modus zu schalten. Für andere sind vielleicht eher Alternativen wichtig, womit man sein Leben sinn- und freudvoller füllen kann, wenn das Smartphone an Einfluss verliert.
Und wer sich auch an ungewöhnlichere Methoden heranwagt, kann sich mit einer besonders peinlich-hässlichen Schutzhülle davon abhalten, sein Smarthone in der Öffentlichkeit zu oft zu zücken. Oder nur noch mit 30 Prozent Akkuladung aus dem Haus gehen, um zwar die sinnvollen und nützlichen Möglichkeiten des Computers in unserer Hosentasche nutzen zu können, aber uns eben nicht vollkommen davon absorbieren zu lassen.
Koch: Ich glaube niemand muss sich Vorwürfe machen, wenn er in den letzten Monaten mehr Zeit vor Bildschirmen verbracht hat als jemals zuvor im Leben. Aber gerade, wenn jetzt die Tage hoffentlich wieder heller werden - in jeder Hinsicht - werden sich viele wünschen, ihr Leben nicht mehr nur in Zoom-Calls, WhatsApp-Chats, Netflix-Serien und Social-Media-Feeds zu verbringen. Es geht eben nicht um einen vollständigen Verzicht, sondern um eine harmonischere Beziehung zu unserem Smartphone.
Natürlich will man sich gerade in einer solchen Krisensituation informieren. Ich habe am Anfang auch jede neue Zahl und jede neue Erkenntnis zum Virus verschlungen. Aber wirklich klüger wird man durch Live-Ticker und wechselnde News im Minutentakt ja nicht unbedingt. Da hilft oft ein wenig Abstand. Ein relativ neues Phänomen ist auch das sogenannte "Doomscrolling": Wir wischen endlos durch die schlechten Nachrichten - Klimakrise, Corona-Ungewissheit, Anschlag hier, Brexit-Chaos dort - und können nicht damit aufhören, egal wie sehr es uns runterzieht.
Mein Ratschlag hier: Social-Media-Apps, die man nicht dringend braucht, vom Smartphone löschen und die Benachrichtigungen, mit denen uns beispielsweise News-Apps anpingen, deaktivieren. Ich rate dazu, statt sich die Nachrichten von den Algorithmen im Facebook- oder Twitterstream oder der Google-News-App vorfiltern zu lassen, sich lieber ein oder zwei seriöse Medienquellen zu suchen, denen man vertraut. Und diese nicht permanent den ganzen Tag über konsumieren, sondern einmal am Tag in einem bestimmten Zeitfenster. Nicht 100 Mal am Tag die Startseite eines hektischen, marktschreierischen News-Portals neu laden und die Schlagzeilen überfliegen, sondern sich eine halbe Stunde am Tag Zeit nehmen für Hintergründe und Analysen.