Die Grünen haben kurz vor Beginn ihres Bundesparteitags den hohen Stellenwert des Themas Klimaschutz für mögliche Koalitionen betont. "Zu regieren ergibt keinen Sinn, wenn ich nichts umsetzen kann", sagte Parteichefin Annalena Baerbock am Freitag dem Portal "t-online.de". Die Klimaschutzbewegung Fridays for Future drängte die Grünen, beim Klimaschutz klare Kante zu zeigen. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wandte sich derweil gegen allzu radikale Beschlüsse zur Klimapolitik.
Baerbock sagte mit Blick auf mögliche Regierungsbündnisse: "Das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen und eine Sozial- und Bildungspolitik, die wirklich jedes Kind erreicht, sind für mich zwingende Grundlagen für künftige Koalitionen." Sie bedauerte, dass ihre Partei nicht stärker auf die Bildungspolitik einwirken kann. Die Grünen regierten zwar in elf von 16 Bundesländern mit, sie "besetzen aber leider kein einziges Bildungsressort", sagte Baerbock.
Die Grünen starten am späten Nachmittag in einen dreitägigen Parteitag, auf dem sie sich ein neues Grundsatzprogramm geben wollen. Der Parteitag findet komplett digital statt. Die Sendezentrale ist in der Berliner Event-Location Tempodrom, dort halten sich auch der Bundesvorstand und das Parteitagspräsidium auf. Die Delegierten werden zugeschaltet.
Im Entwurf für das Grundsatzprogramm tritt die Partei für konsequenten Klimaschutz und ökologisches Wirtschaften, aber auch für mehr soziale Gerechtigkeit ein. Der seit zwei Jahren diskutierte Text soll das bisherige Grundsatzprogramm ablösen, das aus dem Jahr 2002 stammt. Kontroverse Debatten werden unter anderem zur Gentechnik, zum sozialen Grundeinkommen aber auch zur Ausformulierung der Klimaziele erwartet.
Baerbock wies Kritik unter anderem von Seiten der Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer und Carola Rackete zurück, dass die Grünen sich von Status-quo-Hinterfragern zu Status-quo-Bewahrern entwickelten. "Meine ganze Politik zielt darauf, den fossilen Status quo zu verändern - aber in der Wirklichkeit, nicht nur auf dem Papier", sagte die Grünen-Chefin. Um endlich voll loszulegen, brauche es Klimaschutz-Mehrheiten im Bundestag.
Die Grünen werden von Klimabewegungen wie Fridays for Future (FFF) und Extinction Rebellion kritisiert, weil sich die Partei nicht nachdrücklich genug für die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad einsetzen würde. Scharfe Kritik gab es auch am zurückhaltenden Agieren der Grünen in Verbindung mit den Rodungen im Dannenröder Forst. In mehreren Bundesländern bilden sich sogenannte Klimalisten, die den Grünen Konkurrenz machen, etwa in Baden-Württemberg.
Die FFF-Aktivistin Neubauer sagte den RND-Zeitungen vom Freitag: "Wer die ökologische Realität etwas versteht, weiß, dass halbe Sachen und schöne Worte dabei nicht funktionieren." Entsprechend sei der Anspruch an jede Partei, "ein Programm zu erarbeiten, das auf 1,5 Grad hinzielt". Im Pariser Klimaschutzabkommen ist als Ziel festgeschrieben, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst aber auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau. Das Abkommen setzt also einen Korridor fest, keine fixe Marke.
Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner sagte der "taz" vom Freitag mit Blick auf einen Antrag aus dem Kreisverband Mannheim, das 1,5-Grad-Ziel zur "Maßgabe" grüner Politik zu machen: "Wenn wir jetzt anfangen, die Pariser Ziele umzuformulieren, schwächen wir das Pariser Klimaabkommen - und damit den gemeinsamen Kampf für Klimaschutz." Er fügte hinzu: "Die Zeit drängt, wir müssen ins Machen kommen."
by Kay Nietfeld