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Auftakt im Steuerprozess des Jahres!

Um 10.03 Uhr eröffnete Richterin Marion Slota-Haaf am Montag im Saal S 0.11 des Bonner Landgerichts die Strafsache mit dem Aktenzeichen 63 KLs 1/22. Angeklagt: Warburg-Banker Christian Olearius (81).

28 Verhandlungstage hat die Juristin mit den offenen langen Haaren angesetzt. Drei Dinge mag sie nicht: Telefonklingeln im Saal, herumlaufende Reporter – und Steuerhinterziehung.

Doch genau um letzteres geht es! Die Anklageschrift ist 371 Seiten lang. Staatsanwälte lesen sie Zeile für Zeile, einschließlich aller Tabellen, mühsam vor.

Vorwurf gegen Banker Olearius: besonders schwere Steuerhinterziehung in 14 Fällen. Der Schaden für den Steuerzahler: 242 Millionen Euro.

„Arbeitsteilig“ seien Olearius und seine mutmaßlichen Komplizen vorgegangen, heißt es in der Anklage. Sie hätten die Beute, die zu Unrecht erstattete Steuer, unter sich aufgeteilt.

Die Masche: „Doppelbesteuerungserstattung“! Über Jahre nutzten Banken und Investoren eine Lücke im deutschen Steuerrecht, die es ermöglichte, einmal abgeführte Kapitalertragssteuern auf Dividenden mehrfach erstattet zu bekommen.

Im Zuschauerraum erklärt eine Dame vor Beginn: „Es war wie mit einer Pfandmarke, die man im Getränkeladen mehrfach einlöst …“

Der Kanzler und seine Erinnerungslücken – sie könnten noch ein juristisches Nachspiel haben!

Kaum ist der Kanzler aus den Ferien zurück, holt ihn Cum-Ex wieder ein …

Christian Gottfried Olearius drohen im Falle einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Gefängnisstrafe. Doch seine Anwälte sind kampfbereit. Neben ihm sitzt der renommierte CSU-Politiker und juristische Haudegen Peter Gauweiler (74), mit roter Lesebrille auf der Stirn.

Aber auch für den nicht anwesenden Kanzler Olaf Scholz (65, SPD) geht es bei diesem Prozess um einiges. Scholz, früher Hamburgs Erster Bürgermeister, ist verstrickt in den Fall. Ihm wird vorgeworfen, 2016 bei Warburgs Steuerangelegenheiten bewusst beide Augen zugedrückt zu haben.

In Hamburg beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss seit 2020 mit dem Fall Warburg. Zweimal musste Scholz dort schon als Zeuge aussagen. Die Union will auch eine Bundestagsuntersuchung erzwingen.

Denn unklar ist auch: Hat Scholz möglicherweise unter Wahrheitspflicht falsch ausgesagt? Der Kanzler beruft sich in dem Fall bislang auf Gedächtnislücken.

Reporter führen Strichliste, haben bei der Verlesung der Anklage 27 Mal den Namen Scholz gezählt. Die Staatsanwälte stellen das Verhältnis der Hamburger SPD zur Warburg Bank dar. Besonders der frühere Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs (60, SPD) spielt hier eine wesentliche Rolle.

Die Bedeutung politischer Freunde im Bankgeschäft hob Olearius schon 2014 in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ hervor: „Bankgeschäft ist abhängig vom politischen Einfluss, mehr als jede andere Branche.“

Olearius selbst schwieg an seinem ersten Prozesstag. Auf die Frage eines Reporters in der Mittagspause, welcher Eindrücke er denn am Abend in seinem Tagebuch festhalten wolle, antwortete dieser nicht.

Um 14.48 Uhr vertagt die Richterin die Verhandlung. Am nächsten Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.

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