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Armenisch-aserbaidschanischer Konflikt um Berg-Karabach wieder voll entbrannt

Türkei unterstützt Baku - Russland und EU fordern Waffenruhe

Nach Jahren relativer Ruhe ist der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Berg-Karabach wieder voll entbrannt. Aserbaidschans Armee und von Armenien unterstützte Rebellentruppen lieferten sich am Sonntag in der Kaukasusregion heftige Gefechte. Die Regierungen in Baku und Eriwan gaben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation. Während die Türkei Aserbaidschan ihre volle Unterstützung zusicherte, riefen Russland und die EU zu einer sofortigen Waffenruhe auf.

Nach Angaben der pro-armenischen Regionalregierung bombardierte die aserbaidschanische Armee am frühen Sonntagmorgen Ziele in Berg-Karabach, darunter auch die Hauptstadt Stepanakert. Aserbaidschans Verteidigungsministerium erklärte dagegen, die Armee habe eine "Gegenoffensive" gestartet, um "Armeniens Militäraktivitäten" in der Region zu stoppen und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan rief das Kriegsrecht aus und ordnete die Generalmobilmachung an. Aserbaidschans "autoritäres Regime hat dem armenischen Volk erneut den Krieg erklärt", sagte er im armenischen Fernsehen. "Wir stehen vor einem umfassenden Krieg im Südkaukasus", der für die Region und möglicherweise auch darüber hinaus "unabsehbare Folgen haben könnte".

Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew kündigte in einer Fernsehansprache derweil den "Sieg" über die "Separatisten" an. "Die aserbaidschanische Armee kämpft heute auf ihrem Territorium, verteidigt die territoriale Integrität, fügt dem Feind verheerende Schläge zu", erklärte er.

Gegen Mittag verkündete Baku erste militärische Erfolge: "Wir haben sechs Dörfer befreit", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums zu AFP. Die Regierung in Eriwan wies diese Darstellung zurück. Es handle sich um eine "Provokation", sagte ein Sprecher des armenischen Verteidigungsministeriums der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Auf beiden Seiten gab es nach jeweils eigenen Angaben Tote und Verletzte, darunter auch Zivilisten.

Die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan befinden sich seit fast 30 Jahren im Konflikt um Berg-Karabach. Die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region war zu Sowjetzeiten Aserbaidschan zugeschlagen worden. Pro-armenische Rebellen brachten das Gebiet nach Kämpfen mit rund 30.000 Todesopfern Anfang der 90er Jahre unter ihre Kontrolle.

1991 rief Berg-Karabach seine Unabhängigkeit aus; international wird das Gebiet jedoch bis heute nicht als eigenständiger Staat, sondern als Teil Aserbaidschans angesehen. Die Regierung in Baku will die Region wieder vollständig unter ihre Kontrolle bringen, notfalls mit Gewalt.

In den vergangenen Wochen hatten sich Armenien und Aserbaidschan gegenseitig Angriffe im Grenzgebiet vorgeworfen. Zuletzt hatte es dort im April 2016 heftige Kämpfe gegeben. Dabei starben mehr als hundert Menschen. 2010 war die bislang letzte große Initiative für einen Frieden zwischen Eriwan und Baku gescheitert.

Ein länger andauernder militärischer Konflikt könnte weitreichende Auswirkungen haben. Russland und die Türkei konkurrieren um Einfluss in der Kaukasusregion. Das ölreiche Aserbaidschan hat seine Armee in den vergangenen Jahren hochgerüstet und kann auf die Unterstützung der Türkei zählen. Russland unterstützt dagegen Armenien, wo es einen Militärstützpunkt unterhält.

Ankara sicherte Aserbaidschan umgehend volle Unterstützung zu. "Das türkische Volk wird unsere aserbaidschanischen Brüder wie immer mit allen Mitteln unterstützen", erklärte Präsident Recep Tayyip Erdogan auf Twitter. Der internationalen Gemeinschaft warf er vor, nicht ausreichend auf die "Agression" Armeniens reagiert zu haben. Armeniens Regierungschef Paschinjan warnte Ankara, sich in den Konflikt einzumischen.

Russland forderte die Konfliktparteien auf, die Kämpfe sofort einzustellen und Verhandlungen zu einer Stabilisierung der Lage aufzunehmen. Aus Diplomatenkreisen hieß es, der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu habe am Vormittag mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow telefoniert.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen und die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Die Minsk-Gruppe der OSZE mit Russland, den USA und Frankreich als Ko-Vorsitzenden stehe dafür als Vermittler bereit, erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

by Von Mariam Harutjunjan