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Armeniens Ministerpräsident: Neuer Krieg mit Aserbaidschan "sehr wahrscheinlich"

Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan hält einen weiteren Krieg seines Landes gegen Aserbaidschan für "sehr wahrscheinlich". "Solange ein Friedensvertrag nicht unterzeichnet und von den Parlamenten beider Länder ratifiziert wurde, ist ein neuer Krieg (mit Aserbaidschan) sehr wahrscheinlich", sagte Paschinjan am Freitag der Nachrichtenagentur AFP in einem Interview. Er beschuldigte Aserbaidschan zudem des "Völkermords" an Armeniern in der umstrittenen Region Berg-Karabach.

Beide Länder streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Kaukasus-Enklave. Es gab bereits zwei Kriege um das Gebiet mit tausenden Toten. Nach sechswöchigen Kämpfen mit mehr als 6500 Toten im Jahr 2020 hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang. Seitdem gibt es aber immer wieder tödliche Auseinandersetzungen an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze.

In diesem Monat eskalierte die Situation erneut, als Aserbaidschan vorübergehend den sogenannten Latschin-Korridor schloss, die einzige Straßenverbindung zwischen Berg-Karabach und Armenien. Die Sperrung löste Besorgnis über eine humanitäre Krise in der Region aus, in der es an Lebensmitteln, Medikamenten und Strom mangelt.

"Wir sprechen nicht über die Vorbereitung eines Völkermords, sondern über den fortlaufenden Vorgang des Völkermords", sagte Armeniens Regierungschef. Er warf den aserbaidschanischen Streitkräften vor, in Karabach ein "Ghetto" geschaffen zu haben.

Vergangenen Samstag hatten sich Paschinjan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew in Brüssel zu Friedensgesprächen unter EU-Vermittlung getroffen, diese blieben jedoch ohne greifbares Ergebnis. Paschinjan forderte den Westen und Russland auf, den Druck auf Aserbaidschan zu erhöhen.

Der Fortschritt bei den Gesprächen werde durch "Aserbaidschans anhaltende aggressive Rhetorik und Hassreden gegenüber den Armeniern" behindert, sagte Paschinjan nun. Er warf Baku vor, eine "Politik der ethnischen Säuberung" zu betreiben. "Rote Linien" seines Landes bei Gesprächen mit Aserbaidschan seien die "territoriale Integrität und die Souveränität Armeniens sowie die Rechte und die Sicherheit der Armenier in Berg-Karabach".

Armeniens Fall sei "schwierig", da das Interesse des Landes an der Verteidigung der Bewohner Karabachs "von Aserbaidschan als sogenannter Eingriff in seine territoriale Integrität wahrgenommen und interpretiert wird", sagte Paschinjan.

Bei Friedensverhandlungen Ende Mai hatte Armenien akzeptiert, Berg-Karabach als Teil Aserbaidschans anzuerkennen - forderte im Gegenzug aber internationale Mechanismen, mit denen der rechtliche Schutz und die Sicherheit der armenischen Bewohner der Enklave sichergestellt werden können. Aserbaidschan hingegen pocht darauf, dass solche Garantien auf nationaler Ebene gewährt werden müssen und weist ein internationales Format zurück.

mhe/kas