Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden: Eine Anschlagserie hat am Donnerstag den Flughafen von Kabul erschüttert. Wie ein AFP-Fotograf berichtete, wurden bei den Explosionen mindestens sechs Menschen getötet und rund ein Dutzend weitere verletzt. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums sind auch US-Bürger unter den Opfern. Westliche Staaten hatten zuletzt vor Anschlägen während des laufenden Evakuierungseinsatzes nach der Machtübernahme der Taliban gewarnt. Die Bundeswehr stand am Donnerstag vor dem Abschluss ihrer Evakuierungsflüge.
Der Pentagon-Sprecher John Kirby erklärte, bei einem "komplexen Angriff" in der afghanischen Hauptstadt habe es eine Detonation nahe des Flughafenzugangs Abbey Gate gegeben. Außerdem habe sich "mindestens" eine weitere Explosion am nahegelegenen Baron Hotel ereignet.
Die Bundeswehr erklärte auf Twitter, ihre Einsatzkräfte seien nicht betroffen. Das US-Außenministerium und die US-Botschaft in Kabul sprachen von einer "großen Explosion" und "Berichten über Schüsse". "US-Bürger sollten es vermeiden, zum Flughafen zu fahren, und die Flughafen-Zugänge meiden."
US-Präsident Joe Biden wurde nach Angaben des Weißen Hauses über die Anschlagsserie informiert. Der britische Premierminister Boris Johnson berief eine Krisensitzung ein. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Lage bei einem Besuch in Dublin als "extrem angespannt".
Mehrere westliche Staaten hatten zuletzt vor Anschlägen am Kabuler Flughafen gewarnt, das Bundesverteidigungsministerium hatte von mehreren Selbstmordattentätern in der Stadt gesprochen. Befürchtet wurden Anschläge vom regionalen Ableger der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS).
Das US-Außenministerium hatte die vor den Flughafentoren wartenden Menschen deshalb aufgefordert, das Gebiet "sofort" zu verlassen. Grund für die Warnung seien "Sicherheitsrisiken" - diese bestätigten sich nun. Biden hatte sein Festhalten an der Frist für den vollständigen US-Abzug am 31. August auch mit der Bedrohungslage begründet: "Jeder weitere Tag im Einsatz bringt zusätzliches Risiko für unsere Soldaten."
Die Bundeswehr bereitete sich am Donnerstag auf ihre letzten Evakuierungsflüge aus Kabul vor. Die für Rettungsaktionen in die afghanische Hauptstadt verlegten Bundeswehr-Hubschrauber wurden bereits in der vergangenen Nacht wieder zurück nach Taschkent geflogen, wie Generalinspekteur Eberhard Zorn in Berlin sagte.
Eine A400M-Maschine aus Kabul war laut Bundeswehr am Donnerstagvormittag mit 154 Schutzbedürftigen in Usbekistan gelandet. Nach Regierungsangaben vom Mittwoch dürften sich immer noch gut 200 deutsche Staatsbürger in Kabul befinden.
Laut dem "Business Insider" haben die US-Streitkräfte vor Ort die Nato informiert, dass sie ab Freitag, 21.30 Uhr MESZ, keine Flugzeuge mehr auf dem Flughafen landen lassen. Alle Nationen müssen dann ihre Evakuierungsflüge beenden. Aktuell betreiben die USA vor Ort den Flughafen.
Eine ganze Reihe von europäischen Nationen hätten ihre Flaggen bereits eingeholt oder täten das derzeit, sagte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Die Niederlande beendeten bereits am Donnerstag ihre Rettungsflüge und Frankreich fliegt spätestens am Freitagmorgen zum letzten Mal Afghanen aus. Freitagabend soll der französische Einsatz dann vollständig beendet sein.
Das Tempo bei den Evakuierungen hat sich zuletzt deutlich verlangsamt. Nach Angaben des Weißen Hauses vom Donnerstag wurden in den vergangenen 24 Stunden insgesamt 13.400 Menschen aus Kabul ausgeflogen. In den vorangegangenen 24 Stunden waren es noch 19.000 Menschen gewesen. Seit dem 14. August haben die USA und ihre Verbündeten laut den Zahlen des Weißen Hauses 95.700 Menschen außer Landes gebracht.
Durch die Bundeswehr wurden dis Donnerstagmittag etwa 5200 Menschen ausgeflogen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind darunter 4200 Afghanen und 505 Deutsche.
Trotzdem harren noch immer tausende verzweifelte Menschen vor dem Flughafen aus - und riskieren dabei ihr Leben. Die Chance, einen der letzten Plätze in einem Evakuierungsflugzeug zu erreichen, wird immer geringer.
by Von David FOX