Scon im letzten Jahr hat sich gezeigt, wie heimtückisch das Coronavirus sein kann. Nach einem August fast ohne Corona waren die Infektionszahlen dann vor allem durch die Rückkehr von Urlaubern wieder angestiegen. Nun diskutieren Experten darüber, was getan werden muss, damit dieses Szenario in diesem Jahr verhindert werden kann.
Im Augenblick ist die aktuelle Pandemie-Lage in Deutschland sehr positiv. In den ersten Bundesländern haben die Sommerferien begonnen. Angesichts der aktuellen Entwicklung werden sich viele Bundebürger offenbar doch noch zu einer kurzfristigen Urlaubsreise ins Ausland entschließen. Trotzdem ist Vorsicht geboten, weil sich dich Delta-Variante des Coronavirus in vielen Ländern Europas ausbreitet. Auch im Jahr zuvor waren die Zahlen im Sommer deutlich gefallen und dann im Herbst in eine neue Infektionswelle übergegangen. Eine solche Entwicklung soll in diesem Jahr unbedingt vermieden werden. Aktuell liegt der Inzidenzwert in Deutschland bei 5,9, was den niedrigsten Wert seit dem 6. August 2020 bedeutet. Aktuell werden im Durchschnitt 600 neue Infektionsfälle durch das Coronavirus am Tag gemeldet. Noch hat die Delta-Variante, die mittlerweile auch in Deutschland angekommen ist, noch nicht für einen Anstieg der Infektionszahlen gesorgt. Allerdings hat sich der prozentuelle Anteil der Variante im letzten Monat in jeder Woche verdoppelt und wird mittlerweile bereits mit 15 Prozent angegeben.
Offenbar sollen Reiserückkehrer in diesem Jahr flächendeckend getestet werden. Für die Einreise nach Deutschland per Flugzeug bleibt ein negativer Corona-Test Grundvoraussetzung. Reisende per Auto und Bahn brauchen keinen negativen Test, sollen jedoch nach Ankunft in Deutschland getestet werden. “Im Gegensatz zum letzten Sommer sind in ganz Deutschland flächendeckende Testsysteme aufgebaut“, erklärte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (56, CSU). “Entscheidend ist zudem, dass vor Einreise getestet wird und die Testnachweise an den Grenzübergängen und den Flughäfen nicht nur stichprobenartig kontrolliert werden“, kündigt der Politiker an, der bereits seit Wochen in Abstimmung mit dem Bund steht, um engmaschige Kontrollen während der Reisezeit im Sommer sicherzustellen.
Der bekannte Aerosol-Forscher Gerhard Scheuch (66) fordert die Politik in diesem Jahr dazu auf, die Zeit bis zum Herbst besser zu nutzen und sich frühzeitig Gedanken über die zu treffenden Maßnahmen zu machen. “Damit meine ich Luft-Hygiene-Konzepte für Alten- und Pflegeheime, Wohnheime, Betreuungseinrichtungen sowie Schulen und Kindergärten“ erklärt Scheuch. “Dazu gehören gute Lüftungskonzepte. Und wenn es diese noch immer nicht gibt, die Aufstellung von mobilen Raumluftfiltern“, fordert der Forscher.
Ein besonderes Augenmerk soll in diesem Jahr auf die Auswertung von Daten gelegt werden. Dazu gehören besonders die Informationen wo sich die Menschen anstecken, welche Personen besonders gefährdet sind und welche Corona-Varianten sich gerade besonders stark ausbreiten. “Der Datenblindflug bei der Begründung der Maßnahmen muss aufhören“, fordert der Epidemiologe Klaus Stöhr. Aktuell spielen nach Auffasssung des Mediziners die Meldeinzidenzen bereits lange keine große Rolle mehr, da sie durch die fortschreitenden Impfungen das Infektionsgeschehen nicht mehr korrekt widerspiegeln. “Wir müssen bereits jetzt epidemiologische Daten vorbereiten. Etwa eine Studie aufsetzen, um herauszufinden, bei wem die Impfwirkung am schnellsten nachlässt. Und diese Menschen müssen im Herbst als Erste ihre nächste Impfung erhalten“, schlägt Stöhr vor. Nach Meinung des Hamburger Virologe Jonas-Schmidt Chanasit (42) werden vermutlich alle über 70-Jährigen eine Auffrisch-Impfung im Herbst benötigen.
Impftempo soll weiter hoch gehalten werden
Um den vermutlich im Herbst auftretenden Mutanten in bester Weise zu begegnen, müssen die Impfungen auf einem hohen Level weitergehen. Offenbar hat die EU im letzten Sommer zu wenig Impfstoff bestellt. Schon bald könnte das Impftempo von rund 800.000 Impfungen pro Tag ins Stocken geraten. “Die Impfkampagne wird ins Stocken geraten. Das wird bei uns nicht anders sein als in den USA oder Israel“, glaubt Epidemiologe Klaus Stöhr. Aus diesem Grund fordert der Mediziner die Motivation der Menschen zu erforschen. Dies solle mit den gleichen Mitteln geschehen, die die Politiker sonst vor den Wahlen nutzen. Meinungsfroscher, Soziologen, Psychologen und Kommunikationswissenschaftler sollen dies herausfinden. So soll herausgefunden werden, welche Menschen impfskeptisch sind und wie man diese Personengruppe gezielt anspricht. “Hier dürfen wir insbesondere die Menschen in sozialen Brennpunkten nicht vergessen. Sie zu erreichen und zu überzeugen, ist viel schwieriger, als ein Impfzentrum hinzustellen und zu warten, wer freiwillig kommt. Wie gut wir diese Aufgabe meistern, wird über die Zahl der Toten im Herbst entscheiden“, glaubt der Virologe Alexander Kekulé, der für die Zukunft Optimismus ausstrahlt: “Durch die Impfungen hätten wir die Chance, aus dem Raubtier ein Haustier zu machen. Kein harmloses, aber eines, mit dem wir ohne Lockdowns klarkommen können.“ Ein weiterer nützlicher Vorschlag kommt von Aerosol-Forscher Scheuch: “Wir sollten keine Einschränkungen mehr erlassen, wo Aktivitäten sicher sind, nämlich draußen“, fordert der Experte. “Dann können wir im Sommer das Leben so weit wie möglich ins Freie verlagern“, glaubt Scheuch.