Noch vor kurzem waren russische Kriegshetzer und Militär-Korrespondenten siegesgewiss. Die ukrainischen Angriffe seien wirkungslos verpufft, während die russischen Truppen wie Löwen kämpften. Doch nach den ersten Tagen der ukrainischen Gegenoffensive ändert sich der Ton der russischen Berichtserstattung nun merklich.
Mit großer Euphorie berichteten die Russen über die Zerstörung des ersten deutschen Leopard-Panzers, zeigten brennende Panzer aus verschiedenen Blickwinkeln und erklärten die Angriffe der Ukrainer als gescheitert. Die russischen Soldaten kämpften angeblich “ruhig und professionell” und schlugen die Angriffe der Ukrainer mit “hohen Verlusten des Feindes” zurück. Doch plötzlich ändert sich der Ton! Bei weiterem Vormarsch droht nun eine “Einkesselung”.
Der Propaganda-Kanal “Operazia Z” (1,3 Mio. Abonnenten auf Telegram) berichtet von “schweren Kämpfen und einer schwierigen Lage” an der Saporischschja-Front. “Der Feind ändert seine Offensivtaktik”, heißt es dort. “Der Feind hat begonnen, erhebliche Kräfte zu mobilisieren und führt geschicktere Manöver durch…” An einem Frontabschnitt ist es dem Feind gelungen, “durch die bewaldeten Gebiete vorzudringen”, was bei einem weiteren Vormarsch eine “Einkesselung” russischer Einheiten zur Folge haben könnte.
Ein kleinerer Telegram-Kanal namens “Jug Live” (8300 Abonnenten) berichtet, dass die Ukraine nicht an ihrem Einsatz der amerikanischen Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars spart, die den Russen bereits seit Monaten große Probleme bereiten. Die Ukraine “bombardiert” Gräben und Unterstände, was zeigt, dass sie es ernst meinen, die Verteidigungslinie zu durchbrechen, wenn auch mit schweren Verlusten. Der Kanal “Greyzone” (481.000 Abonnenten) listet offen auf, welche Stellungen und Ortschaften von den eigenen Truppen geräumt wurden, wo russischen Einheiten eine Einkesselung drohte und welche Fortschritte die Ukrainer erzielen konnten. Dabei wird deutlich gemacht, dass die russischen Soldaten bisher gute Ergebnisse in der Verteidigung gezeigt haben, jedoch wird auch darauf hingewiesen, dass viele der aktuellen Angriffe nur “Tests” der Ukrainer seien. Das heißt, die großen Angriffe stehen noch bevor!
Selbst im großen Telegram-Kanal “Rybar” (1,1 Mio. Abonnenten), der bisher außergewöhnlich positive Meldungen verbreitete, verdüstert sich die Stimmung. Es wird davon ausgegangen, dass das Offensivpotenzial der ukrainischen Armee noch lange nicht ausgeschöpft ist und in naher Zukunft mit einer verstärkten Offensive gerechnet werden muss. Aufgrund des schlechten Wetters habe sich die Lage in der Region Saporischschja verschlechtert, da der Einsatz von Drohnen und Flugzeugen eingeschränkt sei. Russische Einheiten mussten ihre Stellungen in den zerstörten Dörfern an der Front aufgeben und sich auf die nächste Verteidigungslinie zurückziehen.
Selbst der russische Kanal “War Gonzo” (1,3 Mio. Abonnenten) wird immer pessimistischer. Anstatt die Zerstörung eines ukrainischen Leopard-Panzers zu feiern, heißt es nun: “Auch der Feind fügt uns Schaden zu – wir sind nicht die einzigen, die ihre Leoparden verbrennen.” Sollte es der Ukraine gelingen, die Ortschaft Staromlynivka in der Region Donezk einzunehmen, könnte die Situation nach Meinung russischer Experten weitaus kritischer und gefährlicher werden, als viele im Moment vermuten.