Angriff auf das Herz der US-Demokratie: Wütende Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump haben am Mittwoch das Kapitol in der US-Hauptstadt Washington gestürmt. Die Demonstranten drangen in das Kongressgebäude ein und sorgten für Chaos, laut CNN fielen Schüsse, durch die eine Frau schwer verletzt wurde. Entsetzte Parlamentarier sprachen von "Anarchie" und einem "Putschversuch", international lösten die Vorgänge größte Besorgnis aus. Die Sitzung des Kongresses, bei der Joe Biden endgültig als neuer US-Präsident bestätigt werden sollte, musste abgebrochen werden.
Aufgepeitscht durch eine Rede Trumps kurz vor der Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus eskalierten die Proteste der Anhänger des scheidenden Amtsinhabers, die sich zu Tausenden in Washington versammelt hatten. Schließlich setzten sie sich nach einer Aufforderung von Trump am Nachmittag in Marsch, überrannten die Sicherheitsbarrieren vor dem Kapitol und drangen - ohne auf größeren Widerstand der Sicherheitskräfte zu stoßen - in das Gebäude ein.
Die Sitzung des Kongresses musste abgebrochen werden, Säle und Büros wurden geräumt. Die US-Polizisten zückten ihre Schusswaffen, um Abgeordnete vor den militanten Trump-Anhängern zu schützen.
"Die Sicherheitsleute des Repräsentantenhauses und die Polizei des Kapitols haben ihre Waffen gezogen, während Demonstranten gegen die Eingangstür des Repräsentantenhauses schlagen", berichtete der Abgeordneter Dan Kildee auf Twitter. "Wir sind angewiesen worden, uns auf den Boden zu legen und unsere Gasmasken anzulegen."
Ein anderer Abgeordneter, Jim Himes, berichtete aus dem Kongress, in der Rotunde des Kapitols werde Tränengas eingesetzt. Ein AFP-Fotograf sah eine rauchartige Substanz in dem runden Raum unter der Kuppel des Kapitols innerhalb des Gebäudes, wo hundert oder mehr Demonstranten versammelt waren.
"Dies ist Anarchie. Dies ist ein Putschversuch", erklärte der Abgeordnete Seth Moulton. Der Abgeordnete Val Demings schrieb auf Twitter: "Ein Mob stürmt das US-Kapitol, um eine Wahl zu stürzen. Es findet ein Putsch statt." Die Nationalgarde wurde erst später vom Weißen Haus mobilisiert, Soldaten sollten nach Washington entsandt werden, um die Stadt zu sichern.
Biden sprach von einem "beispiellosen Angriff" auf die US-Demokratie. Er forderte Trump auf, in einer TV-Ansprache seinen Anhängern Einhalt zu gebieten und das "Ende der Belagerung" des Kapitols herbeizuführen.
Auf der Kundgebung hatte Trump die Stimmung angeheizt und erklärt: "Ihr werdet unser Land nie mit Schwäche zurückbekommen können. Ihr müsst Stärke zeigen und ihr müsst stark sein." Stunden nach der Erstürmung des Kapitols und nach der Aufforderungen Bidens schlug er dann einen anderen Ton an und rief seinen Anhänger per Videoclip auf: "Geht nach Hause". Gleichzeitig wiederholte er seinen durch nichts belegten Vorwurf der Wahlbetrugs und versicherte seinen Anhängern: "Wir lieben euch."
Seit der Wahl am 3. November behauptet Trump fortwährend ohne Vorlage von Beweisen, die Wahl sei von den Demokraten gestohlen worden. Mit seiner Kampagne mobilisierte er seine Anhänger teils auch aus dem rechtsradikalen Spektrum, die am Mittwoch die Kongresssitzung zum Anlass für ihre Großkundgebung nahmen.
International lösten die Vorgänge in Washington größte Besorgnis aus. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte die Respektierung des Wahlergebnisses. "Schockierende Szenen in Washington", schrieb Stoltenberg auf Twitter. "Das Ergebnis dieser demokratischen Wahl muss anerkannt werden."
Scharfe Wort wählte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD): "Trump und seine Unterstützer sollten endlich die Entscheidung der amerikanischen Wähler*Innen akzeptieren und aufhören, die Demokratie mit Füßen zu treten", schrieb Maas. "Die Verachtung demokratischer Institutionen hat verheerende Auswirkungen."
In die Tumulte platzte am späten Nachmittag (Ortszeit) dann die Nachricht vom sensationellen Wahlerfolg von Bidens Demokraten bei den Stichwahlen um die beiden Senatssitze im Bundesstaat Georgia. Laut US-Medien konnten die Demokraten beide Sitze von den Republikaner erobern, so dass sie künftig in beiden Kongresskammern die Oberhand haben werden. Mit einer Mehrheit in beiden Kongresskammern verfügt Biden über eine bei weitem größere Machtfülle, als wenn der mächtige Senat weiter von den Republikanern kontrolliert würde und seine Politik blockieren könnte.
by Von Shaun TANDON