Nach dem Veto von Ungarn und Polen gegen den EU-Haushalt und den Corona-Hilfsfonds wächst der Ärger über die beiden Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung forderte sie am Dienstag auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben. "Es ist nicht die Zeit für Vetos", sagte Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD). Führende europäische Politiker warnten davor, den Forderungen aus Budapest und Warschau beim Thema Rechtsstaatlichkeit nachzugeben.
Ungarn und Polen hatten am Montag ihre Zustimmung zu einem 1,8 Billionen Euro schweren Finanzpaket der EU verweigert. Es besteht aus dem gut eine Billion Euro umfassenden EU-Haushaltsrahmen für die kommenden sieben Jahre und dem Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise von 750 Milliarden Euro. Grund für die Blockade sind Pläne, EU-Gelder bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien künftig zu kürzen.
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich im Juli prinzipiell auf einen solchen Rechtsstaatsmechanismus verständigt. Die Details zu dieser zunächst vagen Einigung waren anschließend in internen Gesprächen im Rat der Mitgliedstaaten und in Verhandlungen mit dem EU-Parlament ausgearbeitet worden. Am Montag wurde der endgültige Kompromiss auf Botschafterebene mehrheitlich angenommen und Polen und Ungarn dabei überstimmt.
Daraufhin blockierten die beiden Länder mit ihrem Veto die gesamte Einigung auf das Finanzpaket. Beide Regierungen stehen wegen der Einschränkung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit seit Jahren in der EU am Pranger. Auch die Einleitung bisher einzigartiger Strafverfahren, die theoretisch bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen könnten, brachten Budapest und Warschau nicht zu einem Kurswechsel.
"Wir werden uns in den kommenden Stunden und Tagen mit allen Beteiligten zusammensetzen", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Der Bundesregierung, die derzeit den rotierenden Vorsitz im EU-Rat innehat, kommt in der Angelegenheit eine Schlüsselrolle zu. Er sei "zuversichtlich, dass es eine Lösung geben wird".
Wie diese aussehen könnte, blieb allerdings zunächst unklar. Der Fraktionschef der Konservativen im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), schloss ein Aufweichen der ausgehandelten Rechtsstaatsregeln aus. "Wir werden als EU-Parlament nicht zustimmen, wenn wir keinen verbindlichen Rechtsstaatsmechanismus haben", sagte er in einem auf Twitter veröffentlichten Video.
"Der Rechtsstaatsmechanismus darf nicht mehr verändert werden", forderte auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Die EU muss jetzt standhaft bleiben", ansonsten "würde sie ihre Werte verkaufen", sagte er dem "Tagesspiegel".
Aus Brüsseler Diplomatenkreisen hieß es, die Vertreter Polens und Ungarns seien bei der Abstimmung am Montag "völlig isoliert" gewesen. Weder von traditionell verbündeten östlichen Ländern noch von südlichen Länder, die besonders auf die Hilfen aus dem Corona-Fonds angewiesen sind, hätten sie Unterstützung erhalten.
Die EU-Gelder müssten angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie "so schnell wie möglich" ausgezahlt werden", forderte Staatsminister Roth. "Unsere Bevölkerungen würden einen hohen Preis für eine Blockade zahlen."
Auch Budapest und Warschau haben hier viel zu verlieren. Beide sind die größten Nettoempfänger von EU-Mitteln, die ohne Einigung für den nächsten Haushalt mittelfristig nicht mehr fließen könnten. Auch beim Corona-Hilfsfonds geht es für Budapest und Warschau um bedeutende Summen: Polen würde 23 Milliarden Euro an Zuschüssen erhalten, Ungarn 6,2 Milliarden Euro.
by Aris Oikonomou