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"Querdenken"-Demo in Kassel entlädt sich in Gewalt und Aggression

Polizei spricht von rund 20.000 Teilnehmern - Scharfe Kritik an Einsatzkonzept

Bei einer der größten Kundgebungen in Deutschland seit Jahresbeginn haben sich Anhänger der "Querdenken"-Gruppierung und Polizisten am Samstag in Kassel zum Teil gewaltsame Zusammenstöße geliefert. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer an verschiedenen Versammmlungen im Stadtgebiet auf etwa 20.000 und sprach von einer "aggressiven Gesamtstimmung", die sich in Angriffen auf Einsatzkräfte entladen habe. Die Polizei setzte nach eigenen Angaben am Samstag Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein.

Zeitweise hatten die Polizisten Mühe, die Situation unter Kontrolle zu bringen, wie ein AFP-Reporter vor Ort berichtete. "Größere Personengruppen" hätten versucht, "gewaltsam polizeiliche Absperrungen zu durchbrechen", teilte die Polizei mit. Dabei seien Beamte mit Flaschen und Regenschirmen beworfen worden. Die Polizei sprach von rund einem Dutzend Festnahmen; Verletzte habe es offenbar nicht gegeben.

Ein Polizeisprecher in Kassel rechnete die meisten Kundgebungsteilnehmer der "Querdenker-Szene" zu. Sie stammten "augenscheinlich überwiegend aus dem bürgerlichen Lager".

In der Innenstadt fanden sich laut Polizei mehrere tausend Menschen zu "verbotenen Versammlungen" zusammen. Die Vorschriften zum Schutzabstand und zum Tragen von Masken seien dabei weitgehend ignoriert worden. Auf die "Anwendung von Zwangsmitteln" zur Auflösung der Versammlungen hätten die Einsatzkräfte verzichtet, weil dies "zu einer nicht unerheblichen Zahl an Verletzten auf allen Seiten geführt" hätte.

Damit reagierte die Polizei auf Kritik an ihrer Einsatztaktik. "Aufmärsche der Quernichtdenker sind jeweils vorher bekannt", schrieb etwa der Grünen-Politiker Cem Özdemir auf Twitter. "Angriffe auf Polizei, Nichteinhaltung von Gesetzen und Auflagen sind vorprogrammiert - nahezu jedesmal sind Polizei und Politik überrascht und überfordert."

Der Parlamentsgeschäftsführer der hessischen SPD-Landtagsfraktion, Günter Rudolph, kritisierte das Einsatzkonzept der Polizei als gescheitert: "Dass tausende von Corona-Leugnern, Verschwörungstheoretikern und anderen Realitätsverweigerern ohne Masken und ohne Abstand durch die Innenstadt von Kassel ziehen konnten, war ein absolut unverständliches Zurückweichen des Staates vor denen, die ihn infrage stellen."

Für Kritik sorgte ein Video, das offenkundig dokumentiert, wie Polizisten eine von Gegendemonstranten errichtete Absperrung abräumen. Die Polizei in Kassel kündigte dazu eine interne Untersuchung an. "Im Netz kursieren Bilder und Videos, welche das Einschreiten von Einsatzkräften kritisch darstellen und die Polizei bei vermeintlichen Solidaritätsbekundungen zeigen", schrieb sie auf Twitter. "Wir nehmen das sehr ernst und werden die Sachverhalte intensiv aufarbeiten."

Ein AFP-Reporter vor Ort berichtete über Rangeleien zwischen Polizisten und Demonstranten. Diese trugen keine Masken und hielten sich nicht an die Abstandsregeln. Auf Spruchbändern war unter anderem zu lesen: "Schluss mit dem Lockdown", "Corona-Rebellen", "Söder weg" und "Merkel weg". Stellenweise geriet die Kundgebung in Kassel außer Kontrolle, wie der AFP-Reporter berichtete.

Eine 59-jährige Kundgebungsteilnehmerin sagte AFP: "Ich bin hier, weil ich mir um die Kinder Sorgen mache und ich auch nicht in Ordnung finde, dass man uns nicht informiert über die Impfung." Ein 73-jähriger Demonstrant sagte: "Ich halte Corona für eine ernsthafte Erkrankung. Aber daraus eine Pandemie zu machen mit ganz vielen Einschränkungen unserer Grundrechte, das halte ich für nicht gerechtfertigt."

An einer genehmigten Kundgebung auf der Schwanenwiese am Stadtrand nahmen laut Polizei etwa 6000 Menschen teil. Zugleich versammelten sich allerdings auch mehrere tausend Menschen ohne Genehmigung in der Innenstadt. Allein am Friedrichsplatz kamen laut Polizei tausende Menschen zusammen, zusätzlich bewegte sich ein Demonstrationszug in ähnlicher Größenordnung durchs Stadtzentrum. "Einzelne gezeigte Symboliken, wie gelbe Sterne, wurden dokumentiert, Verstöße im weiteren Verlauf geprüft", erklärte die Poizei.

by ARMANDO BABANI