Muss die NATO jetzt angreifen? Putin droht schon lange mit der Sprengung des größten AKWs Europas, nun versucht er im Vorfeld die Schuld auf die Ukraine zu schieben. Sollte es wirklich zu einem Anschlag auf das AKW Saporischschija kommen – muss die NATO Russland angreifen – bekommen wir doch noch einen großen Krieg in Europa?
Was passiert bei einer Sprengung des AKWs, wie reagiert die NATO? Experten sehen diese Warnung jedoch eher als eine Drohung. Militärexperte Carlo Masala (55) von der Bundeswehr-Universität München erklärt, dass die Ukraine nicht über die Kapazitäten verfüge, das von den Russen besetzte AKW von außen zu zerstören. Im Gegensatz dazu sei Russland dazu in der Lage. Masala vergleicht diese Situation mit der Sprengung eines Staudamms und bezeichnet sie als Politik der verbrannten Erde. Die Frage, die sich stellt, ist: Was passiert, wenn Putin das AKW beschädigt oder in die Luft sprengt? Atom-Expertin Vero Wendland (57) äußert sich auf Twitter besorgt über die Drohungen und verweist auf die Erfahrungen mit russischen Kriegsverbrechen und Provokationen, die den Ukrainern in die Schuhe geschoben wurden. Sie warnt davor, dass sich dies auch heute so abspielen könnte. Dabei weist sie darauf hin, dass eine atomare Zwischenfall auch die Russen selbst betreffen könnte, da bereits Fälle von rücksichtslosem Verhalten Russlands gegenüber den eigenen Bürgern bekannt seien. Aber – was macht die NATO wenn dieses Szenario eintritt?
Wendland geht jedoch trotz der Drohungen nicht von einer großen Katastrophe aus. Sie hält eine Zerstörung der Reaktorgebäude für unwahrscheinlich, aber eine Beschädigung der Turbosätze in den Maschinenhäusern durch die Russen für wahrscheinlicher. Das US-amerikanische “Institute for the Study of War” (ISW) erklärt, dass ein begrenzter Sabotageakt seitens Russland am Kernkraftwerk nicht zwangsläufig zu einem massiven radiologischen Zwischenfall führen würde. Die Reaktoren seien so konstruiert, dass sie erheblichen Schäden standhalten können. Dennoch stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine Beschädigung des AKW in Saporischschja auf die Frontlinie hätte und wie die NATO darauf reagieren würde. Politikwissenschaftler Thomas Jäger (62) von der Universität zu Köln erklärt, dass ein solcher Schaden unmittelbare Auswirkungen auf die Front hätte, da in diesem Gebiet die Kämpfe eingestellt würden. Es ist unklar, welche Seite davon militärisch profitieren würde. Jäger gibt an, dass die Reaktion der NATO nicht offengelegt wurde, es jedoch Indizien dafür gebe. Einflussreiche Politiker wie der US-Senator Graham, der Bidens Ukraine-Politik unterstützt, hätten gefordert, einen Angriff auf die NATO zu betrachten.
Jäger erklärt weiterhin, dass davon ausgegangen werden könne, dass Bidens Warnungen an Russland, scharf auf einen nuklearen Einsatz zu reagieren, auch das damals bereits von Russland besetzte AKW einschlossen. Er schließt jedoch einen unmittelbaren Gegenschlag der NATO aus und betont, dass eine automatische Reaktion unwahrscheinlich sei. Da sich Russland und die Ukraine gegenseitig die Schuld zuschieben würden, sei eine Untersuchung notwendig, um die Aktion und Reaktion zeitlich voneinander zu trennen. Sergej Sumlenny vom “European Resilience Initiative Center” fordert eine klare Ankündigung seitens des Westens. Er schlägt vor, dass die NATO offen erklären sollte, dass jeglicher “Unfall” im AKW als ein Atomwaffeneinsatz gegen die NATO betrachtet werde, da Polen, Rumänien und andere Länder davon betroffen wären. Dies müsse mit entsprechenden militärischen Konsequenzen einhergehen. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms durch die Russen sei deutlich geworden, dass Moskau zu allem fähig sei. Ein Anschlag auf ein AKW sei keine bloße Fantasie, und man müsse darauf vorbereitet sein.