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Migration: Steinmeier sieht Deutschland und Italien an "Belastungsgrenze"

Angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen sieht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Deutschland und Italien an der Belastungsgrenze. Bei einem Besuch in der sizilianischen Stadt Syrakus verwies Steinmeier am Mittwoch auf die "Besorgnisse in unseren Kommunen, die an das Ende ihrer Leistungskraft kommen". Der Bundespräsident forderte eine offene innenpolitische Debatte in Deutschland mit dem Ziel, "dass die Zahl der Ankommenden wieder runtergeht". Eine tragfähige Lösung der Frage könne es aber nur auf europäischer Ebene geben.

In seinen Gesprächen in Deutschland über die Migrationsfrage sehe er viel Zustimmung dafür, "dass die Zahlen runterzubringen sind", sagte Steinmeier. "Deshalb wünsche ich mir, dass wir eine ehrlichere Debatte über die Instrumente führen, die tatsächlich zur Verfügung stehen." Ein Instrument sei ein stärkeres Vorgehen gegen Schlepper.

Diese Debatte müsse ohne ideologische Scheuklappen geführt werden: "Wir sollten nicht von einem hohen moralischen Sockel die einen der Menschenfeindlichkeit bezichtigen und die anderen einer Politik, die Schleusen aufreißt", mahnte der Bundespräsident.

Steinmeier äußerte sich zum Auftakt seiner Italienreise in der Stadt Syrakus; Italiens Präsident Sergio Mattarella, der von hier stammt, hatte ihn dazu eingeladen. Syrakus liegt nicht weit entfernt von der italienischen Insel Lampedusa, wo eine große Anzahl ankommender Flüchtlinge eine Krise ausgelöst hatte.

In einem Interview mit der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" hatte Steinmeier zum Auftakt seiner Reise gesagt, Deutschland wie Italien seien bei der Aufnahme von Flüchtlingen "an der Belastungsgrenze". Es müsse nun "gemeinsam und konzentriert an humanen und langfristig tragfähigen europäischen Lösungen" gearbeitet werden.

Der Präsident danke Italien dafür, dass es gegenüber "Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kamen", ein "immenses Maß an humanitärer Verantwortung" gezeigt habe. Nun seien zur Bewältigung der "großen Lasten", die sowohl Italien als auch Deutschland trügen, eine "gerechte Lastenteilung in Europa" sowie eine "strengere Kontrolle und Überwachung unserer europäischen Außengrenzen" nötig. 

Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner wollte in Berlin nicht direkt Steinmeiers Äußerung zu der "Belastungsgrenze" kommentieren. Es sei aber richtig, "dass die hohen Zugangszahlen eine große gesamtstaatliche Kraftanstrengung" nötig machten, sagte er in Berlin. Bund, Länder und Kommunen seien hier "gemeinsam belastet" und müssten auch "gemeinsam an einer Lösung arbeiten".

In den vergangenen Tagen waren auf der kleinen süditalienischen Mittelmeerinsel Lampedusa tausende Flüchtlinge aus Afrika an Land gegangen. Die Bundesregierung hatte zuvor das Programm zur freiwilligen Aufnahme von Migranten aus Italien im August ausgesetzt - auch aus Protest dagegen, dass Italien sich derzeit gegen die Rücknahme von Asylsuchenden nach den sogenannten Dublin-Regeln sperrt.

In Italien sind seit Jahresbeginn nach Regierungsangaben mehr als 130.000 Migranten angekommen - und somit bereits fast doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2022. Bei den gestellten Asylanträgen liegt das Land allerdings deutlich hinter anderen EU-Mitgliedsstaaten: 2022 wurden in Italien 84.000 Anträge gestellt, in Frankreich hingegen 156.000 und in Deutschland 244.000.

Am Nachmittag wollten Steinmeier und Mattarella Ansprachen bei der Verleihung des zweiten deutsch-italienischen Städtepartnerschaftspreises halten. Am Donnerstag wollen sich Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender in Sizilien mit Helferinnen und Helfern der Vereinigung Don Bosco 2000 zum Thema Migration austauschen. Außerdem wollen sie sich ein Bild von den von Waldbränden betroffenen Gebieten auf Sizilien machen und mit Feuerwehrleuten sprechen.

pw/mt