Nach den tagelangen Unruhen nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen in Frankreich will Präsident Emmanuel Macron in dieser Woche mit den Parlamentspräsidenten und den Bürgermeistern betroffener Gemeinden beraten. Das teilte der Elysée-Palast nach einem Krisentreffen mit. Unterdessen schienen die Krawalle in der Nacht zum Montag weiter abzuflauen. Landesweit wurden bis 23.30 Uhr 49 Menschen festgenommen, wie das Innenministerium mitteilte.
Auf Anordnung von Innenminister Gérald Darmanin waren erneut 45.000 Sicherheitskräfte im ganzen Land im Einsatz. In den fünf vorhergehenden Nächten wurden laut Innenministerium insgesamt 5000 brennende Autos, 10.000 brennende Mülleimer, fast 1000 in Brand gesetzte oder beschädigte Gebäude sowie 250 Angriffe auf Polizeiwachen gezählt.
Mehr als 700 Sicherheitskräfte wurden verletzt. In Paris wurden zwei Polizisten von "Bleikugeln ähnlichen" Geschossen getroffen, wie aus Polizeikreisen verlautete. Im südfranzösischen Nîmes überlebte ein Polizist einen Schusswaffenangriff in der Nacht zum Samstag nur dank seiner kugelsicheren Weste.
Nach Angaben des Elysée-Palasts wird Macron am Montag die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, und den Präsidenten des Senats, Gérard Larcher, empfangen. Am Dienstag sei dann ein Treffen mit den Bürgermeistern von mehr als 220 Gemeinden geplant, in denen es Ausschreitungen gegeben habe. Macron habe zudem Premierministerin Elisabeth Borne gebeten, am Montag die Vorsitzenden der Fraktionen im Parlament zu empfangen.
Macron wolle mit einer "sorgfältigen und längerfristigen Arbeit beginnen, um die Gründe, die zu diesen Ereignissen geführt haben, gründlich zu verstehen", erklärte das Präsidialamt. Die Regierung wolle erst die Ereignisse analysieren und dann Schlussfolgerungen ziehen. Neben Macron und Borne hatten sieben Ministerinnen und Minister an dem Krisentreffen teilgenommen, darunter Innenminister Darmanin und Justizminister Eric Dupond-Moretti. Binnen 48 Stunden soll die nächste Krisensitzung stattfinden.
Die Vereinigung der Bürgermeister Frankreichs rief für Montagmittag zu Solidaritätskundgebungen vor allen Rathäusern des Landes auf. Seit Dienstag seien 150 Rathäuser oder Gemeindegebäude angegriffen worden, sagte der Verbandsvorsitzende David Lisnard.
Die anhaltenden Unruhen haben Macrons Regierung nach den Protesten der Gelbwesten und gegen seine Rentenreform in eine weitere schwere Krise gestürzt. Am Samstag sah sich der Präsident gezwungen, seinen ab Sonntag geplanten Staatsbesuch in Deutschland abzusagen. Stattdessen setzte er für Sonntagabend eine Krisensitzung an. Zudem wurde ein ständiger Krisenstab eingerichtet.
Der 17-jährige Nahel M. war am Dienstag von einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre erschossen worden. Der Jugendliche, dessen Familie aus Algerien stammt, wurde am Samstag in seiner Heimatstadt Nanterre beigesetzt. Der mutmaßliche Schütze befindet sich in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlags gegen ihn.
Seit Nahels Tod kam es vor allem in Pariser Vorstädten, aber auch in vielen anderen Städten und Gemeinden zu gewaltsamen Protesten, die zuletzt etwas nachließen.
Für Entsetzen sorgte am Sonntag ein nächtlicher Anschlag auf das Haus des Bürgermeisters der im Großraum Paris liegenden Gemeinde L'Haÿ-les-Roses, Vincent Jeanbrun. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen "Mordversuchs". Nach Angaben des zuständigen Staatsanwalts Stéphane Hardouin drang ein brennendes Fahrzeug auf das Grundstück vor. Offenbar sollte es das Haus in Brand setzen, doch wurde es laut dem Staatsanwalt von einer kleinen Mauer gestoppt.
Zu dem Zeitpunkt hielt sich Jeanbrun wegen der anhaltenden nächtlichen Unruhen im Rathaus auf, doch seine Frau und seine beiden fünf und sieben Jahre alten Kinder schliefen in dem Haus. Sie flüchteten in Panik.
Am Sonntagabend teilte das Rathaus der Gemeinde Charly südlich von Lyon mit, dass am Morgen am Haus des Bürgermeisters etwas gefunden worden sei, das "zweifellos" dazu bestimmt gewesen sei, einen Brand auszulösen.
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