Nach monatelangem Lockdown spricht sich ein Großteil der Bundesbürger für weitreichende Öffnungen aus, doch viele Politiker warnen vor zu großen Lockerungen. In einer Umfrage des Instituts Insa für die "Bild am Sonntag" plädierten sich 75 Prozent für eine Öffnung des Einzelhandels im März, nur 17 Prozent waren dagegen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor einem "Blindflug in die dritte Welle".
"Wir dürfen nicht die Nerven verlieren, sondern brauchen einen klaren Kopf", sagte Söder der "BamS". Es müsse Öffnungen mit Vorsicht geben. "Wir dürfen mit Deutschland keine Experimente machen, sondern brauchen eine nachhaltige Öffnungsmatrix." Es gehe nur Schritt für Schritt.
Restaurants und Kneipen wollen der Umfrage zufolge 54 Prozent der Befragten schon bald wieder offen sehen, 64 Prozent sind für eine vollständige Wiederöffnung von Schulen und Kitas. Auch bei Hotels, Kosmetiksalons und Museen gibt es laut der Umfrage mehr Öffnungs-Befürworter als -Gegner. Bei Kinos und Theatern ist dagegen eine Mehrheit von 46 Prozent gegen eine rasche Öffnung, nur 35 Prozent wollen sie rasch wieder öffnen.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) befürwortet die Öffnung vieler Geschäfte und Einrichtungen ab dem Frühjahr unter Verwendung von Corona-Schnelltests. Mit diesen könnten in Gaststätten, Läden oder Museen wieder betreiben werden, sagte sie der "Bild am Sonntag". "unter strengen Auflagen könne so im Frühling und Sommer verfahren werden.
Mit Blick auf Corona-Selbsttests für den Hausgebrauch, die seit wenigen Tagen in Deutschland zugelassen sind, forderte Dreyer Unterstützung für Menschen mit niedrigem Einkommen. "Selbsttests dürfen kein Luxusgut für Besserverdiener werden", sagte sie.
Städtetagspräsident Burkhard Jung rief Bund und Länder vor der nächsten Corona-Schaltkonferenz am Mittwoch zur Vorsicht bei weiteren Öffnungsschritten auf. "Umfassende Lockerungen kann es jetzt noch nicht geben", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Nur ein stabil niedriges Niveau bei den Neuinfektionen könne einen erneuten exponentiellen Anstieg verhindern. Öffnungsschritte müssten durch gute Schutzmaßnahmen und eine passende Teststrategie abgesichert werden.
Der Städte- und Gemeindebund (DStGB) verlangte Vorkehrungen, um erfolgte Öffnungsschritte bei einer Verschlechterung der Lage wieder zurückzunehmen. Es sei "sinnvoll, eine Corona-Notbremse vorzusehen, sodass bei dramatischen Entwicklungen Öffnungen auch wieder rückgängig gemacht werden können", sagte DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Samstag.
Für weitere Öffnungsschritte war bei der vorherigen Bund-Länder-Runde vereinbart worden, dass dafür im jeweiligen Bundesland zunächst eine Sieben-Tage-Inzidenz von maximal 35 "stabil" erreicht werden muss. Derzeit liegt der Wert bei etwa 64.
Um Lerndefizite durch die Schulschließungen in der Corona-Krise auszugleichen, schlug der Deutsche Lehrerverband ein freiwilliges Zusatzschuljahr vor. Dafür solle es Lerngruppen, in denen der Stoff bestimmter Fächer wiederholt werden, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Der Kinderärzte-Verband forderte eine schnelle Öffnung von Schulen und Kitas. "Auch nach dem Auftreten von Virusmutationen bleibt es dabei, dass Kinder und Jugendliche keine Treiber der Pandemie sind", sagte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
by DAVID GANNON