Meist war sie eine andere. Und diese andere wurde weltberühmt. Sue Ellen Ewing. Die bedauernswerte Ehefrau des skrupellosen Kotzbrockens J.R. Ewing in der TV-Kultserie "Dallas". Jedes Mal, wenn dieser teuflische Typ seine Frau hintergangen oder sonst irgendwie fertig gemacht und die sich vor lauter geistiger Erschöpfung ein Glas Whisky zu viel gegönnt hatte, seufzte die halbe Welt: Die arme Sue Ellen.
Das war das Berufsleben von Linda Gray. Die erfolgreichste Phase. Von 1978 bis 1991, dann noch mal von 2012 bis 2014. Sie war Sue Ellen. Die hintergangene Ehefrau, die sich Frust und Verzweiflung von der Leber trank, ein wirs Jammers. Eigentlich eine rasch anödende Rolle. Linda Gray hat ihr so viel überzeugende Leidenskraft verliehen, dass sie zur Lebensaufgabe wurde.
Man kann ihr alternatives Dasein als Schauspielerin in zwei Abschnitte einteilen: vor "Dallas", nach "Dallas". Am 12. September wird Linda Gray, die mittlerweile wie eine in Würde und ohne Alkohol gealterte Sue Ellen aussieht, 80 Jahre alt.
Vor "Dallas" war beruflich nicht viel. Die ausnehmend hübsche Kalifornierin modelte, trat in Werbespots auf, hatte kleine Filmrollen. 1967 wurde sie für den Hollywoodfilm "Die Reifeprüfung" mit Stars wie Anne Bancroft und Dustin Hoffman engagiert. Allerdings bekam das Publikum nur ihre Beine zu sehen. In einer berühmten Szene will die reife Mrs. Robinson (Anne Bancroft) den jungen Benjamin (Dustin Hoffman) verführen. Sie rollt lasziv ihre Strümpfe herunter - und da sieht man die Beine von Linda Gray.
Dann kommt 1978 "Dallas", eine beispiellos erfolgreiche Seifenoper um Geld, Macht und Intrigen rund um die Familie Ewing auf der Southfork Ranch in Texas. Unumstrittener Mittelpunkt: J.R. Ewing (Larry Hagman), der Freunde, Feinde und alle Familienmitglieder austrickst und seine Ehefrau Sue Ellen gängelt und betrügt.
Die Serie läuft bis 1991 und wird später noch mal kurzzeitig wiederbelebt. "Dallas" wird in 70 Sprachen übersetzt und in 90 Ländern ausgestrahlt, ab 1981 auch in Deutschland. Über den Erfolg von "Dallas" sagte Gray der Zeitung "Dallas Observer": "Es hat die Menschen aus ihren normalen Alltagsleben herausgeholt und ihnen diese sehr reichen, dysfunktionalen Menschen gezeigt und sie haben dann gesagt: 'Oh, unser eigenes Leben ist ja doch gar nicht so schlecht.'"
Die Rolle der frustrierten, ständig angetrunkenen Sue Ellen hatte für Linda Gray eine bewusstseinsfördernde Funktion. Es sei "ein großer Verdienst" der Serie gewesen, die Probleme des Alkoholismus zu einem gesellschaftlichen Gesprächsthema zu machen, sagte sie zu "Bunte". "Bis heute gestehen mir Leute, dass sie sich nur deshalb trauten, zu den Anonymen Alkoholikern zu gehen."
Linda Gray, die kaum Alkohol trinkt, kennt Ehedramen und Alkoholismus aus eigener Erfahrung. Die Ehe ihrer Eltern war eine einzige Katastrophe, die Mutter war Alkoholikerin. "Meine Schwester Betty und ich flehten unseren Vater an, sich scheiden zu lassen. Aber wir waren Katholiken, da wurde nicht geschieden", erzählte sie einmal in einem Interview.
Die Mutter war ausgebildete Tänzerin und arbeitete später als Modezeichnerin. Sie hatte einen Uhrmacher geheiratet und musste, als sie schwanger wurde, all ihre Träume aufgeben. Linda Gray glaubt: "Sie fing deshalb an zu trinken."
Sie selbst habe die Mutterrolle "in einem sehr jungen Alter übernommen. Meine Schwester und ich standen in der Küche und ich sagte, was wir kochen sollten. Da war sie ja erst fünf Jahre alt."
Auch die eigene Ehe mit dem Fotografen und Grafiker Ed Thrasher (1932-2006) war nicht glücklich. Ihr Mann sei ein Despot gewesen, sagte sie einmal: "In unserem Haus kam ich mir wie das Dienstmädchen vor. Jeden Morgen hing ein gelber Zettel am Kühlschrank. Eine To-Do-Liste für Linda: Bügel meine Hemden, wasch das Auto, bring den Hund zum Tierarzt, streich die Veranda, füttere die Hühner."
Nach 21 Ehejahren (1962-1983) ließ sie sich scheiden. "Ich zog nach Malibu. Meine Kinder waren sauer auf mich. Nach der Scheidung zog ich zurück auf unsere Ranch, auf der ich heute noch wohne."
Die Trennung habe sie alle Freunde gekostet. "Sie schlugen sich auf die Seite von Ed, kümmerten sich um ihn. Niemand lud mich mehr ein. Ich war erfolgreich, attraktiv und Single. Da wollten andere Frauen mich nicht um ihren fetten, alten Ehemann herum haben. Und meine Kinder machten mich dafür verantwortlich, dass ich die Familie auseinander gerissen hatte."
Ausgerechnet ihr böser Film-Ehemann Larry Hagmann und seine Frau Maj kümmerten sich rührend um Linda. "Sie wurden mein Hafen im Sturm." Es war ein Verhältnis, "wie das eines älteren Bruders zu seiner kleinen Schwester. Jahrelang begutachtete Larry jeden Mann, der mein Leben kreuzte. Keiner war ihm gut genug für mich. An jedem hatte er etwas auszusetzen. Es war zum Totlachen."
Die Zeiten von "Dallas" sind endgültig vorbei, der Kumpel Larry Hagman ist 2012 mit 81 an Kehlkopfkrebs gestorben. Es wurde ruhig um Linda. Sie hatte einige kleinere Rollen und Aufträge als Regisseurin und Produzentin, trat auch in der beliebten TV-Serie "Hollyoaks" auf. Sie engagiert sich für Frauenrechte und eine bessere Gesundheitsvorsorge, war von 1997 bis 2007 sogar "UN-Botschafterin des guten Willens".
Und sie schrieb ein Buch über ihre Erfahrungen mit dramatischen Lebenseinschnitten wie eine überstandene Kinderlähmung, das Drama im Elternhaus und den Tod ihrer jüngeren Schwester (Brustkrebs). Ihre Autobiografie "The Road to Happiness" wurde ein Bestseller, auch weil es wie ein persönlicher Leitfaden zum würdevollen Altern geschrieben wurde. "Ich will Frauen ermutigen, dass mit 40 das Leben noch nicht vorbei ist." Auch ohne Botox oder Schönheits-OPs.
Eine zweite Ehe kann sie sich eigentlich nicht vorstellen, obwohl sie andererseits sagt: "Wenn ich jemand in meinem Alter treffe, der mit mir lachen, schwimmen, ins Kino oder gut essen gehen will: Her damit!"
Manchmal erlebt sie in ihrem Alltag noch Rückfälle in die Zeiten von Sue Ellen: "Wenn ich mal im Restaurant ein Glas Wein trinke, hörte ich öfters am Nebentisch flüstern: 'Ich habe doch gleich gedacht, dass die säuft.'"