Durch die smogbehangene Luft, so dick, dass man sie zerschneiden kann, quält sich ein fliegendes Auto. Unten tänzeln schillernde Ballerinas durch die Gassen - Hologramme so groß wie Häuser. Wir sind zurück. Zurück in der Zukunft. 1982 gewährte Regisseur Ridley Scott (82) mit "Blade Runner" einen derartig deprimierenden, düsteren und existenzialistischen Blick auf das, was uns erwartet, dass die Zuschauer sich verwehrten. Ebenso wie die Kritiker. Und erst recht das verantwortliche Filmstudio, das mit zusätzlichen "Erklärbär"-Voice-Overs und einem rasch zusammengebastelten Happyend fürs Kino die Vision des Filmemachers zerstörte. "Blade Runner" war seinerzeit ein Flop - und ist heute zurecht Kult. Auch die Fortsetzung "Blade Runner 2049" von Denis Villeneuve (52), die am 1. Oktober bei VOX (20:15 Uhr) zu sehen ist, blieb im Kino hinter den Einnahme-Erwartungen zurück. Ein absoluter Jammer.
Der LAPD-Beamte K (Ryan Gosling, 39) gleicht mehr einem Kopfgeldjäger, denn einem Polizisten. K ist einer der gefürchteten Blade Runner, deren primäre Aufgabe es ist, menschenähnliche Replikanten aufzuspüren und mit der Dienstwaffe "in Rente zu schicken". Dies gestaltet sich im Gegensatz zu der Ära von Rick Deckard (Harrison Ford, 78) inzwischen aber als wesentlich schwieriger. Hatten die damaligen "Nexus 6"-Replikanten noch eine eingebaute Lebensspanne von maximal vier Jahren, können die Nachfolge-Modelle inzwischen so alt wie ein normaler Mensch werden.
Als sich K gerade um einen der untergetauchten Replikanten gekümmert hat, hält er kurz an einem vor langer Zeit abgestorbenen Baum inne, mitten im Nirgendwo. Eine dort niedergelegte Blume hat ihn zu diesem für ihn ungewöhnlich sentimentalen Schritt bewegt. Noch ahnt er nicht, dass er mit seiner zunächst belanglos wirkenden Entdeckung Geschehnisse ins Rollen gebracht hat, die die Grenze zwischen Replikanten und ihren Erschaffern für immer einreißen könnten. Geschehnisse, die eng mit seinem eigenen Dasein verknüpft zu sein scheinen.
"Blade Runner" stellte als einer der ersten Science-Fiction-Filme die heutzutage überstrapaziert wirkende Frage, ob künstlich erzeugte Lebewesen so menschlich werden können, dass sie ein Recht auf Leben haben. Das haben inzwischen Streifen wie "Ex Machina", ja selbst Serien wie "Star Trek: Das nächste Jahrhundert" in der Folge "Wem gehört Data?" zur Genüge getan, möchte man meinen. Dennoch schafft es "Blade Runner 2049", der bereits 1950 von Mathematiker Alan Turing geprägten Suche nach der künstlichen Menschlichkeit eine neue Facette zu verleihen.
Dieses Mal wird nun also Blade Runner K auf eine existenzialistische Reise geschickt. Eine Reise, die so viele narrative Haken wie ein um sein Leben rennendes Kaninchen schlägt. Bei "Blade Runner" beschäftigte einen die Frage, ob Deckard gar selbst ein Replikant ist. K muss sich nun mit anderen, ebenso bedeutsamen Fragen herumschlagen. Das Schöne dabei: Jeder neue Twist fügt sich spätestens am Ende der über zweieinhalb Stunden Laufzeit homogen in das Gezeigte ein. Sie springen einen nicht wie Kai aus der Kiste unverhofft an, nur um auf Teufel komm raus und wider der Logik für eine Überraschung zu sorgen. Nein, diese "M. Night Shyamalan Falle" umgeht "Blade Runner 2049" zum Glück gekonnt. Was aber nicht stark genug betont werden kann: Um den Film mit all seinen Facetten wertschätzen zu können, ist es unabdingbar, davor "Blade Runner" gesehen zu haben!
Die Welt, die in der Fortsetzung gezeigt wird, ist wunderschön abstoßend. Ein Traum für Fans des Originals und ein Paradebeispiel einer dystopischen Zukunft. "Blade Runner 2049" gibt noch mehr Einblicke in die traurige Einsamkeit inmitten eines überfüllten Großstadtmolochs, die jeder Einzelne zu fristen scheint - egal ob Mensch oder Replikant. Einzig die übergroßen, hell strahlenden Sinnbilder des Kommerzes bringen in allen Farben und Formen ein wenig Licht in das Dunkel, das sich Alltag schimpft.
"Blade Runner 2049" bleibt in dieser deprimierenden Darstellung seiner Vorlage treu und ergänzt sie geschickt. Einst war es Ford, der wie eine durch die Zeit gefallene Film-Noir-Ikone der Marke Humphrey Bogart durch die Zukunftsgassen schritt. Nun ist es Gosling, 30 Jahre später. Wenn auch, so viel sei verraten, unter gänzlich anderen, nicht minder fesselnden Vorzeichen. Bei der Beziehung - wobei, nennen wir es Liebe - zu seiner Hologramm-Ehefrau, werden unwiderruflich Erinnerungen an den Film "Her" wach. Mit ihnen sorgt "Blade Runner 2049" doch glatt für die emotionalsten Momente des Films - sieht man von der letzten Einstellung mal ab...
Doch es fehlt auch etwas. Ein vielschichtiger Antagonist à la Rutger Hauer, der einst mit seinem Abschlussmonolog Filmgeschichte schrieb: "Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. Zeit zu sterben." Nicht minder philosophisch, dafür weitaus diabolischer fungiert Jared Leto (48) alias Niander Wallace nun als Bösewicht. Um seine Ziele zu erreichen, geht der einflussreiche Eigentümer der neuen Replikanten-Manufaktur über Leichen - von Menschen und Replikanten. Im direkten Vergleich zu Hauer könnte er dabei aber nicht blasser wirken.
"Blade Runner 2049" bringt das Kunststück fertig, einen Film fortzuführen, der keine Fortsetzung benötigt hat. Ähnlich wie es "Terminator 2 - Tag der Abrechnung" oder "Aliens - Die Rückkehr" geschafft hat. Der Grund dafür ist im Gegensatz zum Film selbst simpel: Denis Villeneuve ist es gelungen, genug neue, eigene Ideen in das Korsett der Vorlage zu packen. Gemeinsam mit tollen Darstellern, unglaublichen visuellen Effekten und einer packenden Story.