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Verteidigung von Hauptangeklagtem in Lübcke-Prozess plädiert auf Totschlag

Anwalt: Mordmerkmale liegen nicht vor

Die Verteidigung des Hauptangeklagten im Lübcke-Prozess hat in ihrem Schlussvortrag auf Totschlag plädiert. “Stephan E. hat sich nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags schuldig gemacht”, sagte E.s Anwalt Mustafa Kaplan am Donnerstag in seinem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Es lägen keine Mordmerkmale vor. Die Tat sei nicht heimtückisch gewesen, weil der frühere Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke zum Tatzeitpunkt zwar wehrlos, aber nicht arglos gewesen sei.

Lübcke habe sowohl E. als auch seinen Mitangeklagten Markus H. gesehen, als sie auf seine Terrasse gekommen seien, sagte Kaplan. Auch die Tatwaffe in E.s Hand habe er schon zu Beginn des Angriffs gesehen. “Er musste davon ausgehen, dass es sich um einen bewaffneten Angriff handelt”, sagte Kaplan. Wie die Nebenklage geht E.s Verteidigung davon aus, dass H. am Tatabend am Tatort war.

E. habe bei dem tödlichen Schuss zudem nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt, sondern “im Irrglauben, im Allgemeininteresse zu handeln”. Die Tat habe kein egoistisches Motiv, weil es E. nicht darum gegangen sei, “für sich selbst Vorteile aus der Tat zu erlangen”.

Kaplan kritisierte E.s vorherige Anwälte Frank Hannig und Dirk Waldschmidt. Hannig, der im Sommer wegen inhaltlich nicht abgestimmter Anträge abgesetzt worden war, habe E. schlecht verteidigt. E. und Kaplan hatten dem Dresdner Anwalt nach seiner Entpflichtung vorgeworfen, das zweite Geständnis E.s erfunden zu haben, um eine Aussage H.s zu provozieren.

Darin hatte E. angegeben, dass H. Lübcke im Streit versehentlich erschossen hätte. Diese Version sei “Schmierentheater der schlechtesten Sorte” gewesen, kritisierte Kaplan. Er nannte Hannig einen “Regisseur” und “Drehbuchautor”.

Hannig und Waldschmidt trügen eine Mitverantwortung dafür, dass es zu drei unterschiedlichen Geständnissen gekommen sei. Beide Anwälte seien nie von E. oder seiner Familie mit der Verteidigung beauftragt worden. Stattdessen seien sie von anonym gebliebenen Anrufern darum gebeten worden, sich um E. zu kümmern.

Neben dem Mord an Lübcke ist E. wegen eines versuchten Mordes an einem irakischen Flüchtling im Januar 2016 angeklagt. Diese Tat bestritt er von Anfang an. Seine Verteidigung warf der Bundesanwaltschaft vor, “ergebnisorientiert” zu handeln, weil ohne eine Verurteilung wegen des versuchten Mordes ihr Ziel der Sicherungsverwahrung nicht zu erreichen sei.

Eine Strafforderung Kaplans wird für den Nachmittag erwartet. Ursprünglich war das Plädoyer für Donnerstag vergangener Woche geplant. Da es wegen eines rechtlichen Hinweises des Senats überarbeitet werden musste, wurde der Vortrag um eine Woche verschoben.

Der Prozess gegen E. und den Mitangeklagten H. hatte im Juni begonnen. H.s Verteidigung soll am Dienstag kommender Woche plädieren, die Urteilsverkündung ist für Donnerstag geplant.

by Von Annalena DÖRNER

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