Kräftemessen zwischen den Anhängern von Alexej Nawalny und den russischen Sicherheitskräften: Bei Demonstrationen für den inhaftierten Kreml-Kritiker sind bis zum frühen Mittwochabend über 450 Menschen festgenommen worden. In dutzenden Städten des Landes beteiligten sich Menschen an Kundgebungen. Allein in Moskau und St. Petersburg gingen tausende Menschen trotz massiver Polizeipräsenz auf die Straßen. Präsident Wladimir Putin warnte den Westen derweil vor dem Überschreiten einer “roten Linie”.
Mindestens 6000 Menschen fanden sich am Abend nach Polizeiangaben in Moskau zu den Solidaritätskundgebungen für den inhaftierten Oppositionellen ein. Sie riefen “Freiheit” und “Putin ist ein Dieb”, während sie in Richtung des Sitzes des Inlandsgeheimdienstes FSB marschierten. In St. Petersburg waren es laut Polizei mindestens 4500 Demonstranten. Ein AFP-Reporter berichtete, wie Sicherheitskräfte nach einiger Zeit Demonstranten brutal festnahmen oder bis in die Metro-Stationen verfolgten.
Im Osten des Landes sowie im Uralgebiet und in Sibirien waren die Menschen schon früher auf die Straßen gegangen. Die Polizei sprach von 14.000 Demonstranten in 29 Städten, das sind deutlich weniger als bei den Massenprotesten am Anfang des Jahres. Die unabhängige Beobachtergruppe OVD-Info berichtete von über 450 Festnahmen.
Anhänger Nawalnys veröffentlichten auf Twitter Videos von Demonstrationen in Städten wie Wladiwostok und Nowosibirsk, bei denen Menschen die Freilassung des 44-Jährigen forderten und immer wieder Parolen gegen Putin skandierten.
Bereits im Vorfeld der Demonstrationen waren Sicherheitskräfte massiv gegen Anhänger Nawalnys vorgegangen. In fast 30 Städten gab es laut OVD-Info Razzien und Festnahmen. Unter anderem wurden das Büro von Nawalny in St. Petersburg durchsucht und seine Vertrauten Ljubow Sobol und Kira Jarmysch festgenommen.
Zu den landesweiten Demonstrationen hatten Unterstützer des Kreml-Kritikers aufgerufen. Es gehe nicht mehr nur um dessen Freiheit, sondern “um sein Leben”, schrieb der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow.
Nawalnys Gesundheitszustand hat sich nach Angaben seiner Unterstützer massiv verschlechtert, Ende März trat er in der Haft im Straflager in einen Hungerstreik, um Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung zu erhalten. Seine Ärzte warnten zuletzt vor der Gefahr eines Herzstillstandes bei dem 44-Jährigen.
Auch UN-Menschenrechtsexperten fürchten um das Leben Nawalnys. Dessen Leben sei “in ernsthafter Gefahr”, hieß es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung von vier von der UNO ernannten Experten, die aber nicht in ihrem Namen sprechen. Der Oppositionspolitiker müsse “für eine dringende medizinische Versorgung ins Ausland evakuiert” werden können.
Das Schicksal Nawalnys und das harte Vorgehen gegen seine Anhänger ist auf scharfe Kritik im Ausland gestoßen. Offenbar auch mit Blick darauf warnte Putin vor einer Eskalation: “Ich hoffe, niemand kommt auf die Idee, die rote Linie zu überschreiten”, sagte er vor Abgeordneten und hochrangigen Regierungsvertretern. Ein Überschreiten würde eine “harsche” Reaktion hervorrufen.
Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind derzeit sehr angespannt. Auch die Verlegung von zehntausenden russischen Soldaten an die Grenzen zur Ukraine und Aktivitäten des russischen Geheimdienstes in anderen Staaten haben den Westen alarmiert.
Putin, seit dem Jahr 2000 an der Macht, hatte sich erst kürzlich durch ein umstrittenes Referendum zwei weitere Amtszeiten ermöglicht. Allerdings sind die Zustimmungswerte zu seiner Partei Geeintes Russland so schlecht wie selten. Offenbar mit Blick auf die wachsende Unzufriedenheit und die im September anstehenden Parlamentswahlen versprach Putin, die Einkommen der Menschen dauerhaft erhöhen zu wollen.
Unter anderem kündigte der Präsident mehrere teure Sozialmaßnahmen an. Dazu zählen neue staatliche Sonderleistungen für Alleinerziehende und Schwangere, für jedes Schulkind soll es im August 10.000 Rubel (108 Euro) geben.
by NATALIA KOLESNIKOVA