Die Linke wird erstmals von einer weiblichen Doppelspitze geführt: Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow wurden am Samstag auf einem digitalen Parteitag zu den neuen Vorsitzenden gewählt. Das Spitzenduo will die Partei im Superwahljahr 2021 zu neuer Stärke führen. Hennig-Wellsow warb für Rot-Rot-Grün im Bund. Wissler hob besonders auf die soziale Ungleichheit ab. Es gehe um das "Aufbegehren gegen die Verhältnisse", die Linke wolle "Reichtum umverteilen".
Beide riefen die Linke zu Geschlossenheit auf, nachdem die Partei lange durch Grabenkämpfe der verschiedenen Strömungen geprägt war. Wissler und Hennig-Wellsow treten die Nachfolge von Katja Kipping und Bernd Riexinger an, deren Amtszeit nach fast neun Jahren endete. Die 39-jährige Wissler erhielt 84,2 Prozent der Stimmen. Sie ist Vorsitzende der hessischen Linken-Fraktion.
Hennig-Wellsow hatte bei ihrer Wahl anders als Wissler zwei Gegenkandidaten. Die bisherige thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende erhielt 70,5 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis muss noch durch eine Briefwahl bestätigt werden.
Die 43-jährige Hennig-Wellsow strebt ein Bundestagsmandat an und will perspektivisch neben dem Landes- auch den Fraktionsvorsitz in Thüringen abgegeben. Wissler legte sich zunächst nicht fest, ob sie den hessischen Fraktionsvorsitz behält.
Wissler prangerte die gesellschaftliche Spaltung an, die sich durch die Corona-Krise vertieft habe. "Wir leben in einer Klassengesellschaft, das wird in dieser Krise noch deutlicher", sagte sie. Viele Menschen seien in Existenznot geraten und müssten um ihre Zukunft bangen, während die Zahl der Millionäre steige. "Mit diesen Zuständen werden wir uns niemals abfinden", sagte Wissler.
Die Vision der Linken sei ein "demokratischer Sozialismus ohne Ausbeutung von Menschen und Natur". Klimaschutz werde sich "ohne Veränderung der Eigentumsverhältnisse" nicht durchsetzen lassen, sagte Wissler, die für einen klar linken Kurs in der Partei steht.
Sie bekräftigte die Forderung nach einer anderen Flüchtlingspolitik, weltweiter Abrüstung sowie den Stopp von Kriegseinsätzen und Waffenexporten. In ihrer Dankesrede nach der Wahl rief sie die Linke zur Einigkeit auf: "Lasst uns diesen Parteitag als Aufbruch nutzen."
Auch Hennig-Wellsow rief zum Vertrauen in die neue Führung und zur Überwindung früherer Streitigkeiten auf. Sie wolle gemeinsam mit Wissler, "unbelastet wie wir sind", die Kommunikation in der Partei stärken.
Hennig-Wellsow warb mit Nachdruck für eine Regierungsbeteiligung im Bund. "Lasst uns nicht mehr warten", sagte sie. Nicht zuletzt die Corona-Krise werfe Fragen auf, "die nicht warten können", so Hennig-Wellsow. "Sonst werden sie von anderen entschieden."
Neben der Frage von Regierungsbeteiligungen, bei der Wissler deutlich zurückhaltender ist, sind auch beim Thema Auslandseinsätze Unterschiede erkennbar. Wissler ist strikt dagegen, Hennig-Wellsow kann sich in Einzelfällen Blauhelmeinsätze der Bundeswehr vorstellen.
Am Rande des Parteitags sagte Hennig-Wellsow: "Ich sehe zwischen uns keine wirkliche Differenz." Die beiden Vorsitzenden seien "vielleicht in der Konsequenz etwas unterschiedlich". Es gehe darum, die aktuellen Umfragewerte zu steigern. Derzeit liegt die Partei zwischen sechs und neun Prozent.
Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck gratulierten den neuen Linken-Chefinnen. "Wir freuen uns auf eine faire, inhaltliche Auseinandersetzung", erklärten sie. "Als demokratische Parteien ist es gemeinsame Aufgabe, Hass und Hetze entgegenzutreten."
Zu neuen stellvertretenden Linken-Vorsitzenden wurden die Berliner Landeschefin Katina Schubert, die Verdi-Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt und der bayerische Landessprecher Ates Gürpinar gewählt. Als Parteivize wiedergewählt wurden die Bundestagsabgeordneten Martina Renner und Tobias Pflüger sowie der hessische Linkenpolitiker Ali Al-Dailami. Bundesgeschäftsführer bleibt Jörg Schindler.
by Tobias Schwarz