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Netanjahu mit Regierungsbildung in Israel gescheitert

Präsident Rivlin berät nach Fristablauf mit anderen Politikern

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist mit der Bildung einer neuen Regierung gescheitert. Die Frist für die Regierungsbildung nach den Wahlen im März lief am Dienstag um Mitternacht ab. Netanjahu informierte Präsident Reuven Rivlin kurz vorher darüber, dass er nicht in der Lage sei, eine Regierung zu bilden. Rivlin könnte nun Oppositionsführer Jair Lapid und Ex-Verteidigungsminister Naftali Bennett mit der Regierungsbildung beauftragen.

Rivlin hat drei Tage Zeit, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Er kündigte noch in der Nacht an, am Mittwoch die in der Knesset vertretenen Parteien zu kontaktieren, um über die "Fortsetzung der Regierungsbildung" zu beraten. Der Präsident könnte nun einen anderen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen oder das Parlament auffordern, einen eigenen mehrheitsfähigen Kandidaten zu finden.

Rivlin führte am Mittwoch getrennte Gespräche mit Lapid, dessen liberale Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) bei der Wahl im März zweitstärkste Kraft geworden war, und Bennett. Beide forderten den Präsidenten nach Angaben aus ihrem Umfeld auf, ihnen den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen.

Netanjahu, gegen den ein Korruptionsverfahren läuft, war nach dem Urnengang im März zuerst mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Seine Likud-Partei war bei der Wahl mit 30 von 120 Parlamentssitzen stärkste Kraft geworden, verfehlte die absolute Mehrheit von 61 Sitzen aber deutlich. Die Suche nach möglichen Koalitionspartnern war angesichts unklarer Mehrheitsverhältnisse von Anfang an kompliziert.

Netanjahu hatte eigentlich angestrebt, ein Bündnis mit Bennetts religiös-nationalistischer Partei Jamina und der weit rechts stehenden Partei Religiöser Zionismus zu schmieden. Um auf die 61 Sitze zu kommen, wollte er zusätzlich die konservative islamische Raam-Partei ins Boot holen. Die Partei Religiöser Zionismus schloss eine Zusammenarbeit mit Raam aber kategorisch aus.

Am Montag hatte Netanjahu bei seinen Sondierungsgesprächen einen letzten Versuch unternommen und seinem einstigen Verbündeten Bennett das Amt des Regierungschefs in einem Wechselmodell angeboten. Bennett könne im ersten Jahr Ministerpräsident werden, bot Netanjahu an. Es gehe darum, eine "linke Regierung" in Israel zu verhindern. Bennett wies das Angebot aber zurück.

Israelische Medien spekulieren nun über ein Bündnis zwischen Lapid und Bennett. Lapid hat Bennett nach eigenen Angaben bereits angeboten, sich das Amt des Ministerpräsidenten zu teilen.

Lapid hatte sich am Dienstag erneut für eine "stabile" Einheitsregierung ausgesprochen. Andernfalls drohe nach vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren ein weiterer Urnengang. Am Mittwoch stellte sich auch die Likud-Abspaltung Neue Hoffnung, die von dem einstigen Netanjahu-Verbündeten Gideon Saar geführt wird, hinter Lapid.

Sollten sich die israelischen Parteien nicht auf eine Regierung einigen können, bliebe Netanjahu bis zur nächsten Wahl kommissarisch im Amt. Netanjahu, der seit zwölf Jahren an der Macht ist, steht als erster israelischer Ministerpräsident wegen Korruption vor Gericht. Ihm werden Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vorgeworfen.

by Von Guillaume LAVALLÉE