Bei den landesweiten Demonstrationen in Russland für den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sind nach Angaben einer Beobachtergruppe fast 1800 Menschen festgenommen worden. Bis Donnerstagnachmittag seien bei Protesten in 98 Städten insgesamt 1791 Menschen in Gewahrsam genommen worden, teilte die unabhängige Gruppe OVD-Info mit. Allein in St. Petersburg wurden demnach seit Mittwoch 806 Menschen festgenommen. Der Kreml lehnte eine Stellungnahme zu den zahlreichen Festnahmen ab.
Amnesty International verurteilte "das harte Vorgehen gegen friedliche Demonstranten" und den Einsatz von "exzessiver Gewalt", mit der die Polizei Versammlungen aufgelöst habe. Die Menschenrechtsorganisation forderte die "sofortige" Freilassung Nawalnys und aller Demonstranten in Polizeigewahrsam.
Bereits im Vorfeld der Proteste mit tausenden Teilnehmern waren Sicherheitskräfte massiv gegen Anhänger Nawalnys vorgegangen. In fast 30 Städten gab es laut OVD-Info Razzien und Festnahmen. So wurden unter anderem das Büro Nawalnys in St. Petersburg durchsucht und seine Vertrauten Ljubow Sobol und Kira Jarmysch festgenommen.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, er sehe "keinen Grund" für eine Stellungnahme zu den Festnahmen bei den Protesten: "Mir ist nicht bekannt, dass die Kundgebungen irgendwo auf legale Art und Weise abgehalten wurden." Das "Hauptereignis von gestern" sei die im Fernsehen übertragene Rede von Präsident Wladimir Putin zur Lage der Nation gewesen. In seiner fast 80-minütigen Ansprache hatte Putin die Proteste mit keiner Silbe erwähnt.
Zu den Demonstrationen hatten Unterstützer des Nawalnys aufgerufen. Es gehe nicht mehr nur um dessen Freiheit, sondern "um sein Leben", schrieb der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow. Nawalnys Gesundheitszustand hat sich nach Angaben seiner Unterstützer zuletzt massiv verschlechtert.
Ende März war der Kreml-Kritiker in der Haft im Straflager in einen Hungerstreik getreten, um gegen seine laut seiner Darstellung unzureichende medizinische Versorgung zu protestieren. Seine Ärzte warnten zuletzt vor der Gefahr eines Herzstillstandes bei dem 44-Jährigen.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian verurteilte die "unerträgliche Verfolgung" Nawalnys und drohte im Falle von dessen Tod in Gefangenschaft mit Sanktionen gegen Moskau. "Auf ihn wurde ein Attentat verübt. Dann wurde er deportiert. Jetzt ist sein Leben in Gefahr", sagte Le Drian dem Sender France 2.
Die russische Menschenrechtskommissarin Tatjana Moskalkowa erklärte hingegen, dass die Haftbedingungen und die medizinische Versorgung Nawalnys im Einklang mit russischem Recht und internationalen Standards seien. Es finde keine "grausame oder erniedrigende" Behandlung Nawalnys statt.
Bei landesweiten Solidaritäts-Demonstrationen für den prominenten Putin-Gegner waren bereits im Januar und Februar mehr als 11.000 Menschen festgenommen worden. Im August vergangenen Jahres hatte Nawalny einen Anschlag mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok überlebt, für den er den Kreml verantwortlich macht. Danach wurde er nach Deutschland geflogen und in der Berliner Charité behandelt.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Russland im Januar wurde Nawalny dann festgenommen und später wegen angeblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen zu mehr als zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt.
by Von Anastasia CLARK